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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise
Autoren: Ulrich Woelk
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in den Himmel gezeigt hat, verändert sich jetzt, die Landeklappen schieben sich übereinander wie Schindeln. Die Erde
     kommt näher, wird zu einem Watt mit gewundenen Kanälen und Seen, unregelmäßig geformt wie verkleckertes Wachs. Dann das helle
     Grau der Landebahn. Vierhundert Menschen, die gleichzeitig aufstehen wie nach dem Segen beim Gottesdienst.
    Eine Viertelstunde später folgt Jan den Schildern
EXIT
durch Korridore mit weißem Deckenlicht, Resopalpaneelen an den Wänden und graumeliertem, trittfestem Teppich auf dem Boden.
     Dann die Paßkontrolle:
US Citizens with valid Passports
oder
Visitors.
    Jan wirft noch einmal einen Blick auf das grüne Formular , das er gegen Ende des Fluges ausgefüllt hat:
Welcome to the United States   … I-94W Non-immigrant Visa Waiver/Departure Form   … Do any of the following apply to you? (Answer Yes or No)   … C.   Have you ever been or are you now involved in espionage or sabotage; or in terrorist activities; or genocide; or were you
     involved, in any way, in persecutions associated with Nazi Germany or its allies between 1933 and 1945?
    In ihrer Direktheit haben Jan die Fragen überrascht. Wer bejaht schon, ob er ein Naziverbrecher, Gewalttäter, Verrückter oder
     Drogenabhängiger ist? Also hat er alle Fragen verneint, in der Gewißheit, ein harmloser Mensch zu sein.
    Er reicht dem Grenzbeamten den
Visa Waiver
und seinen Paß.
    »You made a mistake here, many mistakes«, stellt der Beamte fest.
    |17| Jan sieht ihn fragend an, der Beamte weist auf die Kugelschreiberkreuzchen. Jan hat beim Eintragen seiner persönlichen Daten,
     Name, Geburtstag, alle Angaben versehentlich eine Zeile zu hoch gemacht, jetzt ist sein
First Name
Germany und sein
Sex
UA 372.
    Er entschuldigt sich: »I’m sorry.«
    Der Grenzbeamte schüttelt den Kopf. »No matter   … you have to concentrate   … do Yoga first.« Er macht ein paar Pfeilchen auf dem
Visa Waiver
und nimmt Jans Paß vom Scanner. »Alright, good bye.«
    Jan schultert sein Handgepäck und geht weiter. Er entdeckt eine Toilette, die ist wie überall, weiße Kacheln und eng aufgereihte
     Pissoirs wie zusammengepferchte Küken im Nest, die die Schnäbel zur Fütterung aufsperren. Wieso nimmt man an, daß es Männern
     nichts ausmacht, sich beim Pinkeln zuzusehen? Er zieht den Reißverschluß seiner Hose wieder hoch. Der Geruch fällt ihm auf,
     kein europäischer Geruch, Harn ist Harn, aber die Desinfektionschemie ist eine andere, die Seife ist eine andere und verwandelt
     Jans Hände in fremde Hände. Lediglich in den Reklameleuchtkästen auf dem Gang präsentiert sich eine internationale Duftwelt,
     Parfums, für die mit pickelfreier Erotik geworben wird, Bilder, die keine Menschen zeigen, sondern Reißbrettphantasien von
     Humanarchitekten, in flüssigen Stickstoff getauchte Statuen, von denen man sich nicht vorstellen kann, daß sie überhaupt nach
     etwas riechen, wenn man ihnen ihre Flakons wegschließen würde.
    Jan folgt den Hinweisschildern
baggage claim
und betritt die Halle mit den Förderbändern, auf denen Koffer wie umgefallene Dominosteine liegen. Ein träges Rennen ohne
     Überholmanöver, die
Samsonites
sind nicht schneller als die Rucksäcke. Gelegentlich wird ein Stück vom Band genommen, und die entstandene Lücke trottet weiter |18| wie ein reiterloses Pferd. Hier und da lösen sich erste überladene Gepäckwagen aus dem Pulk und werden zum Ausgang geschoben
     wie satte Schweine.
    Jan entdeckt seine Tasche. Nicht spritziger als alle anderen, aber treu wie ein Hündchen kommt sie ihm entgegen. Er nimmt
     sie vom Band und arbeitet sich durch den Saum aus Wartenden. Am besten wäre es, denkt er gelegentlich, ohne Gepäck zu verreisen
     und sich das Nötige zusammenzukaufen.
    Er betritt die Haupthalle, und ihn befällt trotz seiner langjährigen Reiseroutine die eigentümliche Verwirrung am Ende eines
     Fluges: Bisher war alles so einfach, und jetzt muß wieder klein-klein gereist werden. Die andere Sprache, die andere Atmosphäre
     trotz des hautengen Überzugs aus Internationalität. Um ihn herum das gleiche Atoll aus Wiedersehensinseln wie auf allen Flughäfen,
     aber andere Gesichter: Japaner oder Koreaner, die keine Japaner oder Koreaner sind, sondern Amerikaner. Kein langsames Vorbeugen
     des Oberkörpers mit eingefrorenem Lächeln. Es sind Weiße, die orientierungslos herumstehen. Touristen.
    Jan wartet. Irgendwo in der Menge müssen zwei Gesichter nach ihm Ausschau halten wie er nach ihnen.
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