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Amerikanische Reise

Titel: Amerikanische Reise
Autoren: Ulrich Woelk
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anlächeln. Der Geruch Hunderter, wie auf Kommando entfalteter Erfrischungstücher.
     Pulvermilch in Kaffee rieseln lassen. Das Staubsaugerrauschen der Triebwerke. Die Durchsage des Captains über die aktuellen
     Flugdaten – verknistert, als melde er sich per Funk von zu Hause. Wieder das Lächeln der Stewardessen, alle sitzen im gleichen
     Boot. Man nimmt alles, was kommt. Vierhundert Menschen, die in einer Aluminiumröhre Truthahnlasagne essen   …
     
    |14| Jans Angewohnheit, auf seinen
Panasonic -
Rekorder zu sprechen, stammt aus der Zeit, als er noch frei für Zeitschriften und Journale gearbeitet hat. Es war die einfachste
     und schnellste Möglichkeit, Beobachtungen und Situationen zu protokollieren, um aus diesen später seine Artikel zusammenzusetzen.
     Darüber hinaus gewöhnte er sich an, neben diesen Notizen auf Band regelmäßig Anmerkungen zu den Frauen zu machen, die er liebte
     oder geliebt hatte; er hielt ihr Aussehen fest und ihre Verhaltensweisen, ihre Blicke und Handbewegungen. Er beschrieb die
     Art, mit der sie seine Wohnung zum ersten Mal betraten, und ihre matte Wunschlosigkeit, wenn sie hinterher auf der Seite lagen,
     das Weinglas in der Hand, durch das ihre Brüste verzerrt und wie in weite Ferne gerückt erschienen. Mehr und mehr, stellte
     er fest, näherte er sich ihren Körpern wie fremden Landschaften, beobachtend und mit einer etwas abgenutzten Neugier – dieselbe
     Haltung, mit der er sich am Ende seiner Zeit als freier Journalist auf Reisen begeben hatte. Und wie man jedes neue Land,
     das man betritt, mit denen vergleicht, die man kennt, verglich er die Frauen miteinander, als bestehe die Chance, eine vollständige
     Geographie des weiblichen Kontinents zu entwerfen.
    Vielleicht würden die Frauen, die er geliebt hatte, protestieren, wenn sie von den Aufzeichnungen wüßten, wenn sie wüßten,
     daß ihn einmal sehr kleine, beim Bräunen weiß gebliebene Brüste an eine Nickelbrille erinnert hatten, die ihn beim Geschlechtsakt
     ansah; daß er einmal auf einem Rücken eine Gruppe von Leberflecken entdeckt hatte und sich der Gedanke in ihm festsetzte,
     es müsse sich um das Sternbild der Jungfrau handeln; oder daß ihn unrasierte Achseln fast immer störten, weil sie ihm vorkamen
     wie ein unzivilisierter, tierischer Rest aus den Zeiten, als Sex eine dumpfe Sache von Sekunden war.
    |15| Jans Verhältnis zu Frauen war ein rituelles. Er eroberte sie, liebte sie und verließ sie nach kurzer Zeit wieder. Merkwürdigerweise
     war er allerdings in einem Punkt konservativ: Er bemühte sich, keine Verhältnisse parallel zu haben, und wenn er feststellte,
     daß ihn eine Frau betrog, verließ er sie; nicht mit Krach und Vorwürfen – er stellte einfach die Kontakte ein oder reduzierte
     sie wieder auf das frühere Maß, wenn es sich um eine ältere oder berufliche Bekanntschaft handelte. Er wollte nicht der einzige
     für ein ganzes Leben sein, aber doch für ein paar Wochen oder Monate. Er mochte keine gekreuzten oder gemischten Verhältnisse,
     und erotische Experimente in anderen Konstellationen als der zwischen
einem
Mann und
einer
Frau lehnte er ab. Und er bestand gegenüber hin und wieder erhobenen Vorwürfen darauf, daß er die Frauen nicht benutzte, sondern
     liebte – nur eben nicht für immer und ewig. Er hielt sich für fair, weil er nie das Gegenteil behauptete, um eine Eroberung
     zu machen, und Frauen, die möglicherweise mehr erwarteten, bedrängte er nicht. Er verurteilte Männer, die alles mögliche versprachen,
     um ein paar Nächte zu ergattern. Und auch wenn sich für ihn einmal längere Zeit nichts ergab, blieb er diesem Prinzip treu;
     lieber einsam, als unter Vorspiegelung falscher Tatsachen einen fremden Körper zum Instrument seines Triebs zu machen. Die
     Regeln seines Vagabundierens waren durchaus moralisch, und wenn es einen Bedarf für eine Enzyklika der Polygamie gegeben hätte,
     hätte er das eine oder andere Kapitel beisteuern können.
     
    Eine leichte Veränderung der Triebwerksgeräusche kündigt den Beginn des Sinkflugs an. Die amerikanische Erde sieht nicht anders
     aus als die europäische, ein von Straßen durchschnittenes braun-grünes Mosaik, der Planet ist parzelliert. |16| Die Autobahnkreuze liegen wie vierblättriger Klee in der Landschaft, daneben das Meer, gesäumt von einem schnurgeraden, weißen
     Band und fingerbreiten Haffseen im Hinterland. Das Wasser glänzt im Gegenlicht wie grobporiges Leder. Der Flügel, der stundenlang
     starr
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