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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume
Autoren: Thomas Jeier
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dahingerafft«, sagte sie müde.
    »Das Schwarze Fieber, die Cholera, der Hunger ... was macht das für einen Unterschied? Die verdammte Kartoffelfäule ist an ihrem Tod schuld! Die Kartoffelfäule und die Engländer, die uns alles genommen haben, was wir besitzen, und nur darauf warten, dass wir verrecken. Wollt ihr in die Stadt?«
    »Gibt es dort Unterkunft? Und etwas zu essen?
    Der Mann lachte. »Habt ihr Geld?«
    »Wir könnten arbeiten.«
    Er schüttelte den Kopf. »Selbst wenn ihr einen ganzen Sack voll Geld hättet und euch die Finger wund arbeiten würdet, gäbe es in Castlebar nichts zu essen und keine Unterkunft für euch. Wir haben selbst kaum was zu futtern.«
    »Vielleicht doch«, hoffte Fanny.
    »Vergesst es! Wisst ihr, wie viele Tote wir täglich wegkarren?« Er winkte ab. »Ihr würdet es sowieso nicht glauben. Und das ist erst der Anfang. In ganz Irland gibt es nicht genug Kartoffeln, nicht mal in Dublin, und die Amerikaner schicken auch keinen Mais mehr. Wenn nicht bald was passiert, werden wir alle verhungern. Noch ist es einigermaßen warm und im Wald gibt es Beeren und Eichhörnchen, die man fangen kann, aber sobald der Winter kommt, sieht es hier düster aus. Wenn wir beide ...« Er sah seinen Begleiter an. »... wenn wir keinen Job bei Whitmore hätten, wären wir schon längst über alle Berge. In Australien oder Kanada ... oder in Amerika, da gibt es freies Land und die Engländer sind genauso verhasst wie wir. Geht nach Amerika!«
    »Aber die Überfahrt kostet Geld!«
    Der Mann blickte Fanny an und leckte sich über die Lippen. »Ihr findet schon eine Möglichkeit, an das Geld zu kommen. Geht nach Amerika, bevor ihr auf unserem Wagen landet.« Er griff nach den beiden Wolldecken, die in dem Leiterwagen lagen, und warf sie ihnen zu. »Hier ... damit ihr nicht erfriert!«
    »Sie sind sehr freundlich, Mister.«
    »Meine Frau ist am Schwarzen Fieber gestorben.«
    Die letzte Meile der Wagenstraße bis zur Stadt war gepflastert, doch die klobigen Steine waren so unregelmäßig gesetzt, dass sie mit ihren nackten Füßen nur schwer Halt fanden. Ihre Fußsohlen waren aufgerissen und bluteten leicht. Besonders Fanny litt unter dem anstrengenden Marsch, obwohl sie noch keine zwei Meilen zurückgelegt hatten. Mehr als Molly hatte sie immer von einem besseren Leben geträumt, ein Edelmann würde sie heiraten, wenn sie ihm nur lange genug schöne Augen machte, und die Aussicht, die nächsten Wochen auf der Straße zu verbringen, ging ihr besonders nahe.
    Vor ihnen tauchte die Stadt auf, eine scheinbar wahllos verstreute Ansammlung von Häusern, die inmitten der grünen Hügel noch dunkler und abweisender als sonst aussahen. Wie ein Koloss ragten die Mauern des Schlosses empor, davor erstreckte sich eine große Wiese, der einzige helle Fleck in der Stadt. Auf einem Hügel thronte die wuchtige Christ Church.
    Schon als sie sich der Stadt näherten, merkten sie, wie recht der Leichensammler mit seinen Worten gehabt hatte. Selbst die Türen des Krankenhauses am Ortsrand wurden von unsichtbaren Händen verschlossen und verriegelt, als sie darauf zugehen wollten. Wie ausgestorben lag die Hauptstraße vor ihnen. Alle Türen waren verschlossen, weder spielende Kinder noch Schweine, Hühner oder Hunde waren vor den Häusern zu sehen. »Geht weg, geht weg!« Der hysterisch klingende Ausruf eines Mannes waren die einzigen Worte, die sie hörten. Nur wenige Schritte vor ihnen fiel ein Tor ins Schloss.
    »Hier haben wir nichts verloren«, sagte Rose Campbell leise.
    Molly wollte noch nicht aufgeben. Sie deutete zur Kirche empor. »Der Pfarrer! Der Pfarrer ist ein Christenmann! Er darf uns die Hilfe nicht verwehren. Denkt an die Geschichte von Maria und Josef. Er gibt uns ein Quartier.«
    Tatsächlich antwortete der hagere Mann auf ihr Klopfen, aber als er eine der beiden schweren Kirchentüren öffnete und sie dahinter die wimmernden Kranken liegen sahen, brauchte er nicht einmal etwas zu sagen, um sie zum Weitergehen aufzufordern. Über hundert, vielleicht sogar mehr Kranke, die meisten mit dunklen Flecken auf der Haut, lagen auf einfachen Strohlagern und blinzelten stöhnend in ihre Richtung, als das helle Tageslicht in die Kirche fiel.
    »Wir haben keinen Platz mehr«, sagte der Pfarrer, »nicht einmal für die Kranken. Das Arbeitshaus nimmt sie nicht auf. Geht weiter und versucht es woanders. Gott möge euch auf eurem Weg begleiten.« Er schlug ein Kreuz.
    »Es gibt keinen Gott«, erwiderte Fanny zum Entsetzen
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