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Am Ufer der Traeume

Am Ufer der Traeume

Titel: Am Ufer der Traeume
Autoren: Thomas Jeier
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dem breiten Schulterkragen und dem Zylinder sah er wie ein Edelmann aus. »Sir Robert Bourke hat entschieden, auf den Wiesen dieses Anwesens eine Rinderzucht zu beginnen, und denkt nicht daran, sich mit zwei mageren Schweinen und einem Getreidefeld zu begnügen. Er strebt nach Höherem. Und jetzt nimm deine Töchter und verlass das Haus! Ohne deinen Mann wärst du sowieso nicht in der Lage gewesen, eine Farm zu führen.«
    »Aber das Haus! Es ist ... alles, was wir noch haben.« Sie war den Tränen nahe. »Mein Mann hat es eigenhändig gebaut! Das ... das Haus gehört uns!«
    »Irrtum! Nach dem Gesetz gehört auch das Haus dem Landbesitzer.«
    »Haben ... haben Sie doch ein Herz, Sir! Lassen Sie uns hier wohnen!«
    »Verschwinde!«, herrschte Whitmore sie an. Er berührte den Knauf seiner Reitpeitsche. »Oder willst du, dass ich dir den Rücken blutig schlage?«
    Molly sah, wie er seinen Männern ein Zeichen gab und diese mit Äxten und schweren Hämmern aus den Sätteln stiegen. In ihren Gesichtern stand grimmige Entschlossenheit. Sie waren vom gleichen Schlag wie die Männer, die vor einigen Wochen auf einer Nachbarfarm gewesen waren, die Besitzer mit Knüppeln vertrieben und ihre baufällige Hütte dem Erdboden gleichgemacht hatten. Den kargen Besitz der Familie hatten sie vor deren Augen verbrannt. Das Weinen der sieben Kinder glaubte Molly jetzt noch zu hören.
    Ihre Gestalt straffte sich und sie stellte sich den Männern in den Weg. Sie handelte instinktiv, ließ der Angst keine Zeit, sich in ihrem Körper auszubreiten. Zum Entsetzen ihrer Mutter, die wohl befürchtete, dass Whitmore zur Peitsche greifen würde, sagte sie: »Warten Sie! Sir ... bitte!« Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie einer der Männer drohend seinen Hammer erhob. »Gestatten Sie uns, den wenigen Besitz, den wir noch haben, mitzunehmen.«
    »Was fällt dir ein, dich den Anweisungen des Landlords zu widersetzen?« Seine Hand lag schon wieder auf der Peitsche. »Kommt nicht infrage!« Er wandte sich an seine Männer. »Worauf wartet ihr noch? Reißt das Haus ein!«
    »Den Kochtopf, die Essnäpfe und die Löffel!«, rief Molly schnell. »Lassen Sie uns wenigstens diese Sachen! Die brauchen wir im Arbeitshaus!«
    Whitmore hielt seine Männer mit einer Handbewegung zurück. »Meinetwegen, holt das Zeug. Und dann verschwindet! Ich habe keine Lust, mir von armseligen Gestalten wie euch den Tag verderben zu lassen. Beeilt euch!«
    Molly und Fanny rannten ins Haus zurück. Sie tranken hastig den Rest ihres Wurzelsuds und packten den Kochtopf, die leeren Essnäpfe und die Löffel in die ausgefranste Wolldecke, unter der sie auf ihrem Strohlager geschlafen hatten. Sonst gab es keinen Besitz, den sie hätten retten können. Den halb vollen Essnapf ihrer Mutter trug Molly so behutsam wie möglich nach draußen, um nichts zu verschütten und ihr wenigstens das bisschen lauwarmen Wurzelsud zu gönnen. Wer wusste schon, wann sie wieder etwas zu essen bekommen würden?
    »Kümmere dich um Mutter!«, flüsterte sie ihrer Schwester zu.
    »Wird’s bald?«, hörten sie Whitmore rufen. »Wenn ihr nicht sofort herauskommt, schlagen wir die armselige Hütte über euren Köpfen zusammen!«
    Sie beeilten sich und liefen an den grinsenden Männern vorbei zu dem staubigen Feldweg, der zur Wagenstraße führte. Fanny stützte ihre schwache Mutter. Weniger die barschen Worte des Mittelmanns als die Erniedrigung, einen Engländer um Gnade anflehen zu müssen, hatten den Stolz der einst so selbstsicheren Frau verletzt, und nur die Angst um ihre Töchter hielt sie davon ab, mit bloßen Händen auf Whitmore loszugehen, auch wenn sie wahrscheinlich keine drei Schritte weit gekommen wäre. Doch manchmal war es besser, mit erhobenem Haupt in den Tod zu gehen, als vor dem Feind zu kriechen und um sein Leben zu flehen. Die Worte ihres stolzen Vaters, eines tapferen Soldaten, der im Kampf gegen die verhassten Engländer gefallen war.
    Sie hatten gerade erst den Feldweg erreicht, als die Männer begannen, die Wände ihres Hauses einzuschlagen. Das dumpfe Echo der Axthiebe und Hammerschläge trieb mit dem kühlen Morgenwind über die Äcker und Wiesen. Rose Campbell drehte sich nicht um, nur an ihrer verkrampften Haltung erkannte man, welchen Schmerz die Laute in ihr auslösten. Das Haus war keinen Penny wert, das Innere war dunkel und stickig und es gab keine Fenster, die frische Luft hereinließen, aber es war ihr Zuhause, ein sicherer Hort, in dem sie wenigstens vor dem
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