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Am Rande wohnen die Wilden

Am Rande wohnen die Wilden

Titel: Am Rande wohnen die Wilden
Autoren: Klaus Frühauf
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plötzlich fühlte auch er eine unbändige Lust, sich die Maske vom Gesicht zu reißen.
    Zu gleicher Zeit hoben sie die Hand, zu gleicher Zeit stockten sie einen winzigen Augenblick, und zu gleicher Zeit streiften sie entschlossen die dünne Folie von Schädel und Gesicht. Den erschreckten Aufschrei Finettas hörten sie nicht.
    Vorsichtig öffneten sie den Mund und saugten die warme Luft der Erde in die Lungen. Nach dem ersten Atemzug verharrten sie und horchten in sich hinein, versuchten Unregelmäßigkeiten aufzuspüren, ein Röcheln, einen winzigen Schmerz.
    Aber da war kein Schmerz, keine Übelkeit, nur ein leichter Schwindel nach dem zweiten, tieferen Atemzug, ein Schwindel, den sie dem Sauerstoffstoß im Hirn zuschrieben. Und dieser Schwindel verging schneller, als er gekommen war.
    Faunian schloß die Augen und hielt das nackte Gesicht in die warmen Strahlen der Sonne, wie er es so oft von den Menschen gesehen hatte. Ganze Tage konnten die Menschen damit zubringen, in der Sonne zu liegen und sich braun brennen zu lassen. Die Menschen neigten zur Übertreibung, so sympathisch sie auch sein mochten.
    Langsam und vorsichtig nahm auch Finetta den durchsichtigen Schutz von ihrem Gesicht. »Was wird nun aus uns werden?« fragte sie, sich zurücklehnend.
    Faunian versuchte ein Lächeln. »Wir müssen uns damit abfinden, Finetta, daß wir unser Leben auf dieser Erde beschließen. Es gibt keine andere Lösung.«
    »Aber.«
    »Es gibt kein Aber. Wir bleiben Gefangene dieses Planeten.«
    Wieder blickte er über das wuchernde, flutende Grün, hinter dem er den Fluß ahnte, und es war, als sähe er all das zum erstenmal.
    Dann spürte er Cositas Gedanken. Bojan und Tekla begleiteten sie, und auch die dumpfen, kraftvollen Impulse zweier Menschen spürte er. Einen Moment lang lenkten ihn seine Gedanken von genauer Selektion ab. Die Impulse der Menschen waren genauso spontan, genauso durchschlagend wie die Menschen selbst. Die Wucht der Emissionen paßte zu dem mitreißenden Schwung, den ihre Erzeuger an den Tag legten, wenn es darum ging, Neues in sich aufzunehmen, Geplantes durchzuführen oder Dinge zu erkennen, die bisher außerhalb ihres Wissens gelegen hatten. Manchmal neigte er fast dazu, diese junge, unausgegorene Rasse zu beneiden.
    Er schloß die Augen, ließ die Impulse auf sich wirken, und bald erkannte er die beiden Menschen. Der dunkelhäutige Riese war es, der sie durch die grausige Zurschaustellung seiner unbändigen Kraft schockiert hatte. Neben seinen Hirnemissionen nahmen sich die seiner ebenfalls dunklen Begleiterin zahm und zurückhaltend aus.
    Diese beiden Menschen würden mit den Kameraden zum System Morn fliegen, würden ihre Gäste begleiten, selbst Gäste in einem ihnen fremden System sein. Das war die Art der Mornen, ihren Dank abzustatten. Was werden diese Menschen fühlen, wenn sie in diese ihnen völlig fremde Welt geraten, in eine Welt, die für sie bisher undenkbar war? Würden sie sich zurücksehnen nach ihrer Erde mit den mächtigen Pflanzenherden, der heißen Sonne und den ungebändigten Flüssen, oder würden sie staunend das Neue in sich aufnehmen, um das Gesehene für die schnellere Evolution ihrer Heimat verwerten zu können?
    Bei dem Gedanken an Morn überlief ihn ein Frösteln. Auch hierin hatte ihn sein Traum nicht getrogen. Morn war für ihn verloren, und auch von Cosita würde ihn das Schicksal trennen. Bei der Katastrophe am Mekong war sie als einzige unverletzt geblieben. Sie würde die Heimat wiedersehen, die sanften Hügel und die weiträumigen Bauten. Sie würde ihre Stirn am Wind des Sauerstoffs kühlen können, wenn die Wanderung sie erhitzt hatte. Sie würde ihre Hände in die sprudelnden, duftenden Wasserkaskaden tauchen und sich am Spiel des Lichtes auf glitzernden Steinen erfreuen. Sie., sie.
    Er fühlte, daß Bojan sich bis auf wenige Schritte genähert hatte, und bemühte sich, ihn seine Gedanken nicht fühlen zu lassen. Er wußte, daß es keine guten Gedanken waren. Seit wann haderte ein Faunian mit dem Unabwendbaren?
    Das kleine Gesicht eines Kindes schob sich vor sein geistiges Auge, das unbekannte Gesicht eines ungeborenen Kindes mit geschlossenen Augen. Er wußte, es war sein Kind, Cositas Kind, und er wischte das Bild mit einer letzten Anstrengung hinweg. Nie würde er sein Kind sehen dürfen, es war, als hätte er es nie gezeugt. 
    Bojan trat langsam auf sie zu. Sein Schatten fiel breit auf das Gesicht Faunians. Er öffnete die Augen vorsichtig, als habe er
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