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Am Meer ist es wärmer

Titel: Am Meer ist es wärmer
Autoren: Hiromi Kawakami
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ziemlich überraschend, aber Saki ist immer so impulsiv.« Ryūzō lachte herzlich.
    Nach einem späten Mittagessen am Bahnhof kehrten wir zur Fahrkartensperre zurück, um auf Momo zu warten. Saki und Ryūzō waren gute Esser. Zuerst verspeisten sie jeder ein Rinderfilet mit Senf und Soße, dann teilten sie sich noch ein Beefstew. Den Reis dazu aßen sie ebenfalls restlos auf.
    Strahlend kam Momo auf uns zugelaufen.
    »Tante Saki?«, rief sie, steckte ihre Fahrkarte in die Sperre und eilte hindurch.
    »Du siehst meinem Bruder wirklich ähnlich«, sagte Saki spontan.
    »Meinem Vater, ja?«, fragte Momo.
    Die Nachmittagssonne fiel bis fast zur Fahrkartensperre in die Bahnhofshalle hinein. Die Alleenbäume, die Autos und Hochhäuser - alles funkelte im sonntäglichen Licht.
    »Gehen wir ein bisschen ins Grüne«, sagte Saki und entfaltete ihren Stadtplan. Momo sah neugierig auf die Touristenkarte von Tokio. »Ach, das hier ist der Wadakura-Springbrunnen-Park«, sagte Saki mit wohlklingender Stimme und ging voran.
    »Du hast die ganze Zeit gearbeitet, nicht wahr?«, fragte Ryūzō, der sich zu mir gesellt hatte. Momo ging mit federnden Schritten neben Saki voran.
    »Naja, was man so arbeiten nennt«, sagte ich. »Mein Einkommen ist nicht konstant. Mal so, mal so. Zum Glück konnte ich uns immer irgendwie über Wasser halten.«
    Ryūzō nickte verständnisvoll.
    So geht es immer weiter, dachte ich, und betrachtete sein kräftiges Kinn.
    Der Wadakura-Springbrunnen-Park lag in der Nähe eines großen Hotels.
    »In so einem Luxushotel würde ich auch gern einmal übernachten«, sagte Saki.
    »Bedenke, was das kostet«, sagte Ryūzō ungerührt.
    Ich musste an die Pension »Suna« denken. Der Sohn hatte gesagt, dass an Feiertagen viele Angler dort übernachteten. Wahrscheinlich war die Atmosphäre dann ganz anders und viel heiterer als mit mir als einzigem Gast.
    »Wie geht es meiner Cousine und meinem Cousin?«, erkundigte sich Momo bei Saki.
    »Sie sind sehr frech. Deine Tante hätte viel lieber eine so brave und nette Tochter wie dich«, antwortete Saki lustig.
    »Immerhin sind wir die Eltern und haben sie großgezogen. Sie sind eben unsere Kinder, wie sollen sie da vornehm werden?« Ryūzō lachte, dass seine Schultern bebten.
    Alles war von der Sonne beschienen. Die Stirn mit der Hand beschattend, blickte Momo in den Himmel auf. Ein Flugzeug überquerte ihn und hinterließ einen Kondensstreifen.
    »Und da soll man keine Angst bekommen? So hoch am Himmel und so weit weg von der Erde?«, sagte Saki.
    »Das Flugzeug sieht aus wie eine Nadel, irgendwie hübsch«, sagte Momo.
    »Und du, Momo, du hast Ähnlichkeit mit den Hina-Puppen in Sakis Elternhaus«, sagte Ryūzō.
    »Als Kind habe ich sie oft aus der Vitrine genommen und damit gespielt. Dann hat meine Mutter geschimpft«, erzählte Saki.
    Momos Haar glänzte in der Sonne. Sakis Wangen, Ryūzōs Ohrläppchen, der Rasen im Park, das Wasser des Springbrunnens und der Himmel über uns - alles war in helles Licht getaucht. Ich schloss die Augen und spürte den Sonnenschein auf meinen Lidern. Vor mir tauchte die Inlandsee auf. Fischerboote fuhren über das warme, glatte Meer.
    Rei, irgendwann in ferner Zukunft können auch wir uns Wiedersehen.
    Im nächtlichen, sich kräuselnden Meer vor Manazuru versank ein brennendes Schiff. Aus dem Nichts kommen wir, und ins Nichts kehren wir zurück. Von fern ertönte Momos weiche Stimme. Der Park war ganz von Licht durchflutet.
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