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Am Horizont die Freiheit

Am Horizont die Freiheit

Titel: Am Horizont die Freiheit
Autoren: Jorge Molist
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Flüchtenden.
    »Aus dem Meer kommt unser Leben, aus dem Meer kommt unser Tod«, hatte er oft von Ramón gehört. An diesem Tag zeigte sich das Meer glatt und sanft. Die eigenartigen Wolken zogen noch über den Himmel, während die Sonne über dem Berg emporstieg und die Felsen am südwestlichen Teil der Bucht von Zeit zu Zeit zum Leuchten brachte. Doch Joan achtete nicht auf den schönen Anblick, sondern auf das große, bedrohliche, von Rudern starrende Schiff, das gerade in diesem Moment hinter den Felsen hervorkam. Und auf einmal, trotz der Entfernung, trug die Brise einen widerwärtigen Geruch herbei, ein Gemisch aus Schweiß, Urin und Exkrementen. Er rannte los, um die Männer einzuholen, und verspürte Ekel und Furcht.
    »Das ist eine von den großen Galeeren, mit drei Kanonen!«, rief Tomás. »Und sie hat grüne Wimpel geflaggt. Das sind sarazenische Piraten!«
    »Wir verschanzen uns in den Felsen rechts vom Weg, hinter dem großen Pinienwald«, brachte ihnen Ramón in Erinnerung. »Wenn wir eine gute Deckung finden, können wir sie mit den Pfeilen und Spießen aufhalten. Wir müssen den Frauen genug Zeit lassen, den Gipfel zu erreichen.«
    »Hoffentlich geben sie sich damit zufrieden, das Dorf zu plündern, und lassen uns in Ruhe«, sagte einer.
    »Sie werden nicht aufgeben, wenn wir sie nicht aufhalten«, widersprach Ramón. »Unsere Vorräte für den Winter und die paar Hausgeräte genügen ihnen bestimmt nicht. Sie wollen Sklavinnen haben, die sie verkaufen können, und Galeerensklaven, die rudern sollen. Das ist die Beute, nach der sie suchen.«
    Joan hatte die Männer beinahe erreicht, als er sah, wie die Galeere wendete, um in die kleine Bucht einzulaufen. Ihre Ruder klatschten kraftvoll ins Wasser, die Kanonen starrten drohend in Richtung Strand, und die Piraten drängten sich am Bug zusammen. Sie schrien und schwenkten ihre Waffen in der Luft. In dem Moment war es vorbei mit dem Gefühl von Mut und Sicherheit, das ihm sein kleiner Spieß gegeben hatte. Joan rannte, um seinen Bruder Gabriel einzuholen. Er war für ihn verantwortlich.
    Er überholte die Letzten der Gruppe: diejenigen, die versuchten, ihre Siebensachen in improvisierten Ballen fortzutragen, oder Tiere – ein Schwein, ein Zicklein, einen Esel – mitschleppten, womit sie alle behinderten. Sie waren der Ansicht, ein Hungerwinter sei schlimmer als die Piraten.
    Als er seine Mutter erreichte, die mit seiner kleinen Schwester auf dem Arm und den beiden größeren Geschwistern keuchend den Berg hinaufstieg, ergriff er Gabriels Hand. Nun hörte er das Geschrei der an Land springenden Piraten.
    Sie hatten den ersten großen Pinienwald hinter sich gelassen und kamen zu den Felsen, wo sie sich verschanzen sollten, wie Ramón gesagt hatte. Da tauchte plötzlich eine Gruppe von Männern auf und schnitt ihnen den Weg ab. Sie bedrohten sie mit Armbrüsten und Spießen.
    »Die Sarazenen!«, kreischte eine Frau. Die Dörfler blieben stehen. Manche wichen zurück und drängten die Übrigen mit sich.
    »Macht Platz!« Ramón ging nach vorn und schob die Leute beiseite. Ihm folgten die bewaffneten Männer. »Das ist ein Hinterhalt! Sie haben uns erwartet!«
    Die Lage war verzweifelt, wie Joan erkannte. Diese Piraten hier hinderten sie daran, zum Sebastiansturm hochzusteigen, und die anderen, die am Strand entlangliefen, würden sie bald erreicht haben und von hinten über sie herfallen. Er sah seine Mutter an. Verängstigt und außer Atem drückte diese die untröstlich weinende Isabel an die Brust, während seine Schwester María schluchzte und sich am Rock der Mutter festhielt. Gabriel klammerte sich fester an seine Hand. Joan blickte zu seinem Vater hinüber, weil er hoffte, dieser werde eine Möglichkeit finden, sie zu beschützen. Er sah, dass dieser zögerte und zu Frau und Töchtern hinüberblickte. Danach heftete sich sein Blick an die großen Augen Gabriels, der ihn erschrocken anstarrte. Er hatte gerade noch Zeit, ihnen zuzulächeln und dem neben ihm stehenden Joan über den Kopf zu streicheln. Das dauerte nur einen Augenblick, in dem der Junge verstand, dass sein Vater eine Entscheidung getroffen hatte.
    »Wir müssen sie ablenken«, sagte Ramón zu den Männern. Dann blickte er seine Frau an und rief: »Lauf weiter zum Sebastiansturm. Rettet euch!«
    Ramón schwang seine Azcona und stürmte auf die Sarazenen zu. Die Dörfler folgten ihm. Die Frauen und die Alten schleppten die Kinder den Berg hinauf, dem Wehrturm entgegen.

2
    J oan hielt
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