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Am Hang

Am Hang

Titel: Am Hang
Autoren: Markus Werner
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bekanntlich gebe und die es dem Weltlauf verargten, daß er sich nicht um ihre Träume habe scheren wollen. Ob es sein könnte, daß er es leichter finde, die Wirklichkeit zu hassen, als seine jugendliche Wunschvorstellung von ihr zu revidieren. Ob er mir böse sei, wenn es mich ärgere, daß er die Welt verdamme, ohne viel mehr gegen sie vorzubringen, als daß ihn das Vorhandensein von Handys und von Hygienebeuteln beziehungsweise die Reklame für das, was in den Beuteln lande, störe. – Loos schwieg. Wo soll ich beginnen? fragte er schließlich und schwieg erneut. Dann sagte er: Es wäre jetzt ein Donnerwort am Platz, ein originelles und universelles, wie Sie es von mir erwarten. Es fällt mir leider nicht ein. Und auf die Beutel komme ich nicht mehr zurück und auf die Ausschlachtung von Körpersäften auch nicht. Vermarktet wird bekanntlich alles, und inmitten des tobenden Umschlagplatzes, auf dem sich inzwischen fast jeder und jede als ein Markenprodukt präsentiert, das die anderen überflügeln und ausstechen muß – inmitten dieses Schlachtfelds, sage ich, fühlt sich der einzelne, sofern er noch fühlt, ein wenig leer, ein wenig überfordert und ziemlich sehr vereinzelt. Nun kommt das Segensreiche: Der Markt läßt seine Opfer nicht im Stich, er zeigt Verantwortung. Dem Leeren bietet er, nicht gratis freilich, Unterhaltung an, dem Überforderten ein Antistreßprogramm plus Ginsengkapseln und dem Vereinzelten ein Handy. Ist das nicht rührend? Wie kommen Sie auf die Idee, daß ich die Welt aufgrund der Handys hasse? An Ihrer Unterstellung, Herr Clarin, ist trotzdem nicht alles falsch. Es stimmt, ich habe vor einigen Jahren, als der besagte Aufschwung begann, das Handy als Alptraum empfunden, als lästige Erscheinungsart des Exhibitionismus, der damals auch am Fernsehschirm Furore zu machen begann. Ich habe meinen Aberwillen mit vielen Menschen, die ich schätzte, geteilt, und ich schätze sie nach wie vor, auch wenn es heute aus ihren Hand- und Jackentaschen dudelt. Kritik allerdings empfiehlt sich jetzt nicht mehr, es sei denn, man wolle sich den Ruf einhandeln, ein unelastischer Geist zu sein. Ich langweile Sie, nicht wahr?
    Ich sagte, ich hätte ihm Fragen gestellt, um Antworten zu hören. Ich danke Ihnen, sagte er, ich bin ja, seit ich meine Frau vor einem runden Jahr verloren habe, nicht mehr gesprächig, und wenn ich es doch einmal bin, so spüre ich, daß man mir nur noch aus Höflichkeit zuhört. Also. In dem Moment, wo eine Tendenz sich durchsetzt, mag sie auch noch so irre Züge tragen, ist sie auch schon im Recht. Was viele tun und billigen, kann gar nicht falsch sein: das ist die Logik, nicht wahr, die Logik des Blödsinns, die jeden Kritiker für blöd erklärt, nicht wahr, ich verliere den Faden. Ursprünglich wollte ich sagen, daß mich das Handy abstößt, weil es die Liquidierung des Privaten und Intimen betreibt und nebenbei den Weltlärmpegel erhöht. Als abstoßender aber empfinde ich es, daß Vorbehalte verboten sind. Hat das Virus – welches auch immer – erst einmal alle befallen, darf man es nicht mehr Virus nennen. Am Anfang ja, am Anfang hat man jede Menge von Verbündeten. Je mehr der Strom aber anschwillt, je selbstverständlicher, je närrischer, je diktatorischer er sich gebärdet, um so mehr fallen um und hinein, und ich stehe belämmert am Ufer, und das Letzte, was sie mir zubrüllen, im Chor, sind die Worte: »Nur wer sich ändert, bleibt sich treu!«, und unsereins steht als verkalkter Sack am Ufer. So ist das, Herr Clarin, so war es immer, weshalb sich Nostalgie verbietet, ich habe früh und oft erlebt, wie meine Weggefährten zu Schmieröllieferanten jenes Rades wurden, dem sie einst in die Speichen greifen wollten, und dabei war der damals herrschende Geist, den wir in unserer Frühlingszeit zu Recht als menschenverachtend empfanden, noch eine Spur humaner als der, dem sie sich später nicht nur anbequemten, sondern auf allerlei Posten zum Durchbruch verhalfen. Als, um ein Beispiel zu nennen, der einigermaßen gebändigte Markt unbändig zu werden begann, ja außer Rand und Band geriet und schamlos ehrlich zeigte, daß er Moral nicht einmal mehr als Mäntelchen benötigte und so etwas wie Menschenwürde als drolliges Relikt der krepierenden Linken begriff, da saßen viele Alterskameraden bereits in ihren Sesseln und machten mit und sagten sich: Nur wer sich ändert, bleibt sich treu. – Und doch, Herr Clarin, gibt es neuerdings Hoffnung, ich habe neuerdings in einem
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