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Am Hang

Am Hang

Titel: Am Hang
Autoren: Markus Werner
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sie hätte ihm Antwort gegeben – dann wäre Loos, nein, Bendel, von Anfang an im Bild gewesen. Und darum dann die ganze Maskerade, sein falscher Name und seine sonstigen Gespinste?
    Ich glaubte nur für kurze Zeit an diese Version, dann glaubte ich, daß ich Gespinste wob. Hätte Bendel sich angefreundet mit mir? Hätte er eigens für mich einen Tumor erfunden? Hätte er Valerie sterben lassen, nur um mich zu täuschen? Das alles war doch allzusehr an den Haaren herbeigezogen. Und erst der Blitz im Hyde Park! Ein derart prägendes und unerhörtes Erlebnis hätte mir Valerie doch erzählt. Und Bendel hätte es mir nicht erzählt, er hätte sich damit verraten. Er hätte mit Bestimmtheit angenommen, daß ich von diesem Vorfall wußte. Wie aber, wenn die Blitz-Geschichte frei erfunden war? Oder einfach nur aufgeschnappt in irgendeiner Zeitung? Allein wozu? Loos mochte ein bißchen verrückt sein mitunter, aber geisteskrank war er nicht.
    Ich kochte Nudeln und machte mir zwei Spiegeleier, ich aß zerstreut und lustlos. Und nachher, am Kamin, ging das Sinnieren wieder los, das Grübeln, das ekelhafte Hin und Her. Ich hatte Schwindelgefühle, und das Flackern der Flammen, das mich sonst immer beruhigt, verstärkte sie noch. Ich starrte ins Feuer und sah darin, wie Loos ins Feuer starrte. Und erstmals wurde mir bewußt: Wenn Bendel hier gesessen hätte, dann wäre mir sein Haß gewiß, dann hätte ich jetzt einen Todfeind.
    Ich befahl mir, mich zusammenzunehmen. Ich mußte etwas tun, um den Rummel in mir zu dämpfen, um mich zu entwirren und zur Besinnung zu bringen. Gewißheit suchte ich im Augenblick nicht unbedingt, nur Ordnung und Übersicht.
    Ich ging ins Nebenzimmer, ich setzte mich vor den Laptop. Es klopfte. Und sofort klopfte auch mein Herz, ich spürte: Loos ist da. Loos kommt, um zu begründen, warum er heute morgen weggeblieben ist, er kommt, um Abschied zu nehmen. – Ich öffnete die Haustür, es war niemand zu sehn, ich schien mich verhört zu haben: Die Dielen verzogen sich manchmal und knackten dabei.
    Ich schloß die Haustür ab und setzte mich wieder. Dann tippte ich zwei Sätze. Alles dreht sich. Und alles dreht sich um ihn. – Ich kam nicht weiter. Ich konnte, was mich umtrieb, nicht in die Tasten hacken. Ich ging im Zimmer herum. Tassos Foto, es steht auf dem Bücherregal, erinnerte mich an seinen Füllfederhalter, den ich von Magdalena als Andenken bekommen hatte. Natürlich, dachte ich und holte ihn samt Tintenfäßchen aus der untersten Schreibtischschublade hervor. Er roch ein wenig so, wie meine Großmutter gelegentlich gerochen hatte, ich glaube, nach Kampfer. Ich reinigte die Innenteile und das Reservoir mit Wasser, und dann zog ich die alte, blaue Tinte auf. Als ich zu schreiben begann, nahm er sehr rasch die Temperatur meiner Hand an.

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