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Am Hang

Am Hang

Titel: Am Hang
Autoren: Markus Werner
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eine schöne Zeit gehabt, und als sie abgelaufen war, hat Valerie es akzeptiert, mit Fassung. Sie hat doch auch gemerkt, daß wir nicht zueinander paßten, nicht auf die Dauer jedenfalls. – Ja, sagte Eva, du hättest sehen sollen, wie abgeklärt sie war am Tag nach deinem Besuch. Sie heulte nicht, sie raufte sich die Haare nicht, Mensch, bist du ahnungslos, und ausgerechnet ich – sie kannte hier niemanden sonst –, ich mußte sie in die Arme nehmen und trösten, obwohl ich vielleicht noch nach dir roch. Wie mies ich mich dabei fühlte, wirst du dir denken können. – Ich hoffe nicht, daß du mich dafür verantwortlich machst, sagte ich, du hast dich, wenn ich mich nicht irre, höchst freiwillig mit mir vergnügt. – Stimmt, sagte sie. Ich habe immerhin, dank dir, gemerkt, wie wenig mir die schnelle Tour zusagt, sie war mir nämlich als Erfahrung neu, obwohl du natürlich das Gegenteil glaubst. – Du hast es ausgestrahlt, das Gegenteil. – Möglich, sagte sie, doch lassen wir das. Ist dir wirklich nicht bewußt, in welch verzweifelter Verfassung du Valerie zurückgelassen hast? – Sie wirkte, wie gesagt, gefaßt, sie hat keine Träne vergossen, und in der Zeit danach ist keinerlei Zeichen mehr von ihr gekommen, kein Vorwurf, keine Klage, auch nicht der Wunsch, uns nochmals auszusprechen. – All das hast du auf deine Weise ausgelegt, sagte Eva, so, wie es für dich bequem war. Das Bild der stillen Valerie, die klaglos und gelassen zur Tagesordnung übergeht, hat dir sowohl die Einfühlung als auch die Skrupel erspart. – Ich bin kein Hellseher, sagte ich ungehalten, wie kann ich wissen, daß jemand Schmerzen hat, wenn er das Gesicht nicht verzieht? Und überhaupt, du nervst mich ziemlich, mit Predigten habe ich Mühe. – Es steht dir frei zu gehen, sagte sie. – Ja, sagte ich, das wäre gescheiter. – Und doch sieht es so aus, als ob dich etwas daran hindere. – Wie kommst du darauf? – Weil du dir ständig auf die Unterlippe beißt und weil ich nicht unbedingt glaube, daß du hierhergekommen bist, nur um mir guten Tag zu sagen. – Hm, sagte ich, und Eva fragte: Hast du tatsächlich nie etwas von Valerie gehört? – Nicht das Geringste. – Sie ist weit weg gezogen und lebt allein, sie hat die Trennung nie verschmerzt.
    Wir schwiegen eine Weile. Dann sagte ich, obwohl ich überzeugt war, daß Eva übertrieb und offenbar bemüht war, mir Schuldgefühle zu machen, es tue mir sehr leid, daß Valerie unsere Trennung so tragisch genommen habe. Ihr so viel bedeutet zu haben, sei überraschend zu hören für mich, sie habe sich nie so geäußert. – Anscheinend, sagte Eva, zähle für mich nur Gesagtes, für anderes sei ich blind. Zwar sei auch Valerie blind gewesen, aber auf eine ganz andere Art. – Ich sagte, es sei doch eine hübsche Laune der Natur, wenn sich zwei Blinde fänden. – Darauf ging Eva nicht ein. Es habe sich, so sagte sie, ein kleines Mißverständnis eingeschlichen. Was Valerie nie habe verschmerzen können, sei die Trennung von ihrem Mann gewesen, nicht die von mir. – Ich schluckte leer und fragte Eva, warum sie mir dann eben noch, und zwar in dramatischen Tönen, von Valeries Schmerz und desolater Verfassung nach unserer Trennung berichtet habe. – Weil es nicht anders gewesen sei, antwortete sie, weil Valerie wirklich verzweifelt gewesen sei, sie habe mich ja – dies seien ihre Worte – rätselhaft hitzig geliebt. Und doch habe sie immer gewußt, daß etwas zwischen uns nicht stimme, sie habe ihr, Eva, einmal von einer Szene erzählt, die sie und ich beobachtet hätten, auf einem Kinderspielplatz. Ein Kind sei auf der Schaukel gesessen, sein Vater, danebenstehend, habe in einer Zeitung gelesen und die Schaukel, ohne den Kopf zu heben, von Zeit zu Zeit mechanisch angestoßen. Ich hätte nicht gemerkt, wie lieblos stumpf und unbeteiligt sich dieser Vater verhalten habe. Sie, Valerie, sei damals darüber hinweggegangen wie über anderes auch, das sie an mir gesehen und sofort ausgeblendet habe. Ihr Herz samt allen Sinnen sei quasi mit ihr durchgebrannt, habe Valerie wörtlich gesagt, sie habe diesen Vorgang besinnungslos genossen, wobei ihr sehr bald klar geworden sei, daß sie sich ihrem Mann in diesem Zustand nicht habe zumuten dürfen. Sie habe ihn darum verlassen, wenn auch nicht im Gefühl der Endgültigkeit, und ihre Schuldgefühle unterdrückt. Es scheine jetzt vielleicht, so Eva weiter, als habe Valerie ihr alles anvertraut, was mich und ihren Mann betreffe, so aber sei es
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