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Am Hang

Am Hang

Titel: Am Hang
Autoren: Markus Werner
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ein bestimmtes Schubertlied, das die Schönheit der Welt besingt, sowie, im Unterschied zu Loos, den Regenschirm und einen Vers von Hesse.
    Du, mich fröstelt, sagte Eva, ich hole mir schnell eine Jacke, ich bin gleich wieder da.
    Sie kam zurück und schwieg. Sie schaute mich an, nicht kühl, ihr Blick war weich jetzt, mitleidig fast, bedauernd, als wolle sie sagen: Ich kann dir leider nicht helfen. – Nach einer Weile fragte ich sie, warum sie nichts sage. – Wahrscheinlich, weil sie sprachlos sei, erklärte sie. – Ich sagte, das verstünde ich, der Fall sei gar zu närrisch. – Sie finde ihn todtraurig, sagte sie und fragte unvermittelt, ob mir bekannt sei, was Felix beruflich mache. – Ich sagte, Valerie habe mir erzählt, daß er Musiker sei und Cellounterricht erteile. – So, sagte Eva. – Warum, stimmt es denn nicht? fragte ich. – Jedenfalls spielt er Cello, antwortete sie. – Du tust ja richtig sibyllinisch, sagte ich. – Thomas, ich muß jetzt gehen, ich glaube, ich kann dir nicht helfen, ich bin nur Atemtherapeutin, Blinde kann ich nicht heilen. – Was das nun wieder heißen solle, fragte ich. – Sie fragte zurück, ob ich durch Loos zufällig wisse, worum es gehe in jenem Hesse-Vers, den seine Frau Bettina besonders schön gefunden habe. – Ja, sagte ich, so ungefähr, um irgendeine Allerweltsweisheit zum Thema Herz und Abschied. – Schau, sagte Eva und zog ein kleines Notizblatt aus ihrer Jackentasche, das geb ich dir mit auf den Weg. Mach’s gut, sagte sie, stand auf, gab mir die Hand und ließ mich sitzen. Das Blatt war kariert und zusammengefaltet, ich steckte es ein und stierte blöd in die Landschaft, rief schließlich den Kellner, bezahlte und ging.
    Unterwegs, ich weiß nicht mehr wo, hielt ich an und holte den Zettel hervor. Ich faltete ihn auseinander und erkannte Valeries Handschrift und erkannte die beiden Zeilen:
     
    Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
    Bereit zum Abschied sein und Neubeginne.
     
    Ruhig Blut! befahl ich mir. Das Blut gehorchte nicht, ich fuhr unkonzentriert weiter. Ein Zufall ist noch lange kein Beweis. Wie viele Frauen lieben Hesse? Wie vielen sprechen diese Zeilen, gerade diese, aus dem Herzen, und zwar trotz des furchtbaren Dative am Ende jeder Zeile? Wahrscheinlich Abertausenden. Na also: Bettina liebte sie, und Valerie liebte sie offenbar auch, auch wenn sie sie mir vorenthalten hat. Zwei Frauen, die das gleiche Sprüchlein mögen, verwandeln sich deswegen nicht in eine. Und Eva hat sich nur wichtig gemacht, hat ihr scheinbares Wissen für sich behalten, um mich ein wenig zappeln zu lassen, und mir nur diesen Zettel zugesteckt: das einzige Indiz vermutlich, das sie zu ihrem aberwitzigen Verdacht verleitet hat. Kein Grund zum Zappeln also, dachte ich und stieß dann trotzdem, kaum angekommen in Agra, das frisch gefüllte Weinglas um.
    Ich rief kurz den Redaktor der Juristen-Zeitung an, um mitzuteilen, daß ich mich krankheitshalber nicht in der Lage sähe, meinen Aufsatz termingerecht abzuliefern. Dann machte ich ein Feuer im Kamin. Ich setzte mich in den Sessel davor und schloß, um mich zu sammeln, die Augen.
    Momente lang schien meine nüchterne Natur sich wieder durchzusetzen. Ich wunderte mich über den Schwachkopf in mir, der sich von einer wilden Spekulation fast hätte irremachen lassen. Ich sagte mir, wer sich aufs Unwahrscheinlichste einlasse, verliere die Spur, die zum Wahrscheinlichen führe.
    Schon nach dem dritten Glas geriet ich von neuem ins Grübeln und also ins Schwanken. Sätze fielen mir ein, Loos-Sätze, die ich auf einmal verdächtig fand, zweideutig oder lauernd. Ich überlegte mir so spielerisch wie möglich, zu welchem Zeitpunkt er – wenn er denn Bendel gewesen wäre – hätte merken können, wer ihm gegenübersaß. Spätestens dann, dachte ich, als ich Valeries Namen nannte, vielleicht schon früher, als ich erwähnte, daß seine Frau und meine Freundin zur gleichen Zeit im Kurhaus gewesen sein mußten. Das aber hatte ihn, wie ich mich deutlich erinnerte, nicht wirklich interessiert. Andere Schnittstellen fielen mir ein, andere Zeichen, die mich kenntlich gemacht haben konnten – zuletzt erst jener Sachverhalt, der mein Hüpfen mit einem Schlag unterband: Ich hatte mich gleich zu Beginn mit meinem Namen vorgestellt, mit meinem unalltäglichen Namen Clarin, Betonung auf der zweiten Silbe. Gesetzt den Fall, er hätte Valerie, falls er von ihrer Liebschaft wußte, einmal gefragt, wie dieser Typ denn heiße; gesetzt den Fall,
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