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Am Hang

Am Hang

Titel: Am Hang
Autoren: Markus Werner
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ließe, daß man die Welt umsegeln könnte, oder nicht? – Sie dürfen mich getrost hochnehmen, sagte ich, ich bin nicht sehr empfindlich, im übrigen habe ich verstanden, was Sie meinen, nur hat Ihr Gleichnis einen Haken und nimmt mich zu streng beim Wort. Über Gefühle haben wir keine Verfügungsgewalt, das weiß ich auch, es ist nicht fair, mir einen Strick daraus zu drehen, daß ich die sogenannte große Liebe noch nicht erfahren habe. Muß ich, nur weil einstweilen keine Weltumsegelung zu winken scheint, auch auf Landpartien verzichten? – Ja sehen Sie, sagte Loos, vorher hat eben alles sehr vorsätzlich geklungen, so als hätten Sie alles im Griff, jetzt klingt es menschlicher, aber es steht mir so oder so nicht zu, Ihre Lebensgestaltung zu werten, ich will Sie auch nicht fragen, ob es bei den paar Tränen bleiben würde, wenn Sie an eine Frau gerieten, die Sie blind und verbindlich liebt, und ob dann Ihre, wie soll ich sagen, Tragödienverhinderungsmaßnahmen auch noch greifen würden. Doch wie erwähnt, das dürfen Sie mir glauben, aus mir spricht auch ein wenig Neid, denn etwas in mir hegt Sympathie für den flüchtigen Eros, für die spielerische Form der Liebe, nur kenne ich sie kaum, ich bin zu schwer dafür, und nicht einmal jetzt, wo ich allein und scheinbar frei bin, traue ich sie mir zu. Ich habe Sie gefragt, ob Ihnen Ihr Junggesellentum behage, ich wollte Lobendes hören, weil es mir nicht behagt, weil ich die positiven Seiten zu wenig sehen kann. Was ich hingegen sehe, um nur zwei Dinge zu nennen: Wie traurig schaut eine Zahnbürste aus, die einsam im Zahnglas steht, und wie oft fehlt mir am Abend ein Grund, um einzuschlafen, eine Umarmung etwa, ein Kuß, ein Streit meinetwegen, kurz etwas, das es mir erlauben würde, mich zur Wand zu drehen und als ein wohlig oder renitent Verkrümmter zu versinken, Entschuldigung, ich spüre den Wein, ich glaube, es wird Zeit. – Sie wollen schon gehen? – Zeit für den Zeitgeist, sagte Loos, aber vorher muß ich noch rasch auf mein Zimmer, bis gleich. – Ich sagte, während er schon aufstand, daß wir doch über den Zeitgeist schon dies und das geredet hätten. – Zu zahm, murmelte Loos, ging ein paar Schritte, er ging wie ein Bär, blieb stehen, drehte sich um und rief so laut, daß die anderen Gäste verstummten: Zu zahm!
    Auch ich spürte den Wein, aber keinerlei Müdigkeit. Mit diesem Mann stimmt etwas nicht, dachte ich, und er ist kein gemütlicher Kumpan, und trotzdem hätte ich ihn eben, als ich glaubte, er breche schon auf, mit Krallen festhalten mögen. Wie kommt das nur?
    So, sagte er, da wäre ich wieder, ist Ihnen auch schon aufgefallen, daß uns, sobald wir in die Toilette eines Hotelzimmers treten, die sogenannten Hygienebeutel für Damensachen empfangen? – Stört Sie das? fragte ich. Nein, sagte er, es schüchtert mich nur ein, hingegen stört es mich empfindlich, daß ich, sobald ich wieder im Zimmer bin und kurz den Fernsehapparat einschalte, blühende Frauen sehe, die sich dank dieser Damensachen selig am Meeresstrand tummeln. – Sie sollten solchen Werbespots vielleicht mit mehr Humor begegnen. – Es will mir nicht gelingen, Herr Clarin. Aber eigentlich habe ich oben, im Badezimmer, über die eheliche Stufenleiter nachgedacht, von der Sie berichtet haben und die für Sie vom Himmel in die Hölle führt. Die spannende Beziehung aber, ich habe zwölf Jahre Erfahrung, bietet ein anderes Bild, warten Sie, ich zeichne es Ihnen auf. – Ich fragte, während er Heftchen und Bleistift hervorzog, ob er gestalterisch tätig sei. Nur privatim, sagte er unwirsch und zeichnete mit leichter Hand eine Leiter, deren Fuß von Flammen umlodert war, um die zwei gehörnte Teufelchen tanzten, und deren oberes Ende sich an eine Wolke lehnte, auf der ein Engel saß. Mag sein, sagte Loos, daß man gemeinsam auf der obersten Sprosse beginnt, knapp unterhalb des siebenten Himmels. Verliebtheit, Leidenschaft, Trieb. Mag sein, daß man gemeinsam auf der untersten Sprosse endet, knapp oberhalb des Höllenfeuers. Abneigung, dégoût, Haß. Ich sage mag sein, denn nicht einmal das ist gewiß. Vor allem aber scheint mir Ihre Vorstellung verfehlt, daß Paare zeitgleich und quasi gefühlskongruent von Sprosse zu Sprosse hinuntersteigen, gemächlich die einen, die andern rasant, aber immer Schulter an Schulter. So mechanistisch, fast hätte ich gesagt: harmonisch, geht es nicht her und zu auf dieser Leiter, da herrscht ein reger Betrieb und kein geordneter
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