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Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Am Freitag schwarz: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Michael Sears
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bin heilfroh, dass sie den los ist. Er kommt andauernd her, lärmt herum und sucht sie, aber ich schicke ihn jedes Mal weg. Sie will nichts mehr mit dir zu tun haben, sage ich zu ihm. Aber meinst du, er hört auf mich?«
    »Wo ist der Junge, Mamma? Wo ist Kid?«
    Wieder wich sie einen Schritt zurück, behielt die Tür aber im Auge.
    »Er ist hier, stimmt’s?« Ich ging die Stufen hinauf.
    Mamma zog sich in Richtung Wohnzimmer zurück und unternahm einen halbherzigen Versuch, mich draußen zu halten. »Wenn sie zurückkommt, erzähle ich Angie natürlich, dass du hier warst und sie sprechen wolltest. Sie besucht ihren Bruder oben in Lafayette.«
    Ich drängte mich an ihr vorbei und ging zur Treppe. Sie redete immer weiter.
    »Wenn sie traurig ist, fährt Angie immer zu ihrem Bruder. Er schafft es jedes Mal, sie zum Lächeln zu bringen. Es rührt mich, dass sie so lieb miteinander sind. Ich würde nicht dort raufgehen, Jason.«
    Doch ich war schon oben und steuerte auf das Zimmer in der Ecke zu. Der Haken war eingehängt. Ich hätte so gern jemandem eine reingehauen. In dem Moment wäre mir jeder als Opfer willkommen gewesen.
    Die Tür klapperte, als ich anklopfte. Es kam keine Antwort.
    »Kid? Hier ist Jason. Es wird Zeit, dass wir nach Hause fahren, mein Junge.«
    Ich löste den Haken und stieß die Tür auf. Der Junge saßmitten im Raum auf dem Boden. Drei Matchbox-Autos standen vor ihm aufgereiht. Er summte leise.
    »Kid?« Ich hockte mich hin und war immer noch größer als er. »Kid?«
    Die Möglichkeit – oder Wahrscheinlichkeit –, dass er hochging, wenn ich ihn anfasste, schüchterte mich ein.
    Er summte einen gleich bleibenden Ton, mal lauter, mal leiser werdend, aber immer auf derselben Tonhöhe, meditativ beinahe, aber mit einer gewissen Intensität. So, als versuche man, »Om« zu singen, wenn man in Wahrheit wegen irgendetwas stinksauer ist. Ein Klang wie von einem Wespennest in der Wand.
    »Ich habe ein neues Auto für dich.« Keine Reaktion. Ich stellte den Miniatur-BMW auf den Teppich.
    Der Junge knurrte. »Nnnnnnrrrrgggghhhh.« Dann verfiel er wieder in sein Summen.
    Also wartete ich. Eine perverse innere Stimme drängte mich, auf die Uhr zu sehen, dabei wusste ich, dass Zeit keine Rolle spielte. Ich weigerte mich einfach, mich als Erster zu bewegen.
    Endlich. Der Junge streckte den Arm aus, nahm das Auto und stellte es zu den anderen, ans Ende der Reihe.
    Es sah so aus, als gehöre es genau da hin.
    Wieder wartete ich.
    »Kid? Wir müssen los. Mrs. Carter sagt, ich soll dich wieder in die Schule bringen. Ich habe uns für heute ein besonderes Auto besorgt. Genau so eins wie dein neues da. Einen BMW Z4. Blau.« Was ich nicht sagte, war, dass der Wagen – mit Steuern, Gebühren, Kilometergeld und Benzin – an die tausend Dollar am Tag kostete. Aber wenn das Ganze funktionierte, war er das wert. Abgesehen davon konnten wir es uns leisten.
    Das Summen verebbte.
    Ich streckte ihm den Handrücken hin. Er beugte sich vor und schnupperte daran.
    Eine Ewigkeit später streckte er mir im Gegenzug seine Hand hin. Ich schnupperte. Dann sank sein Arm herab, er sammelte Stück für Stück seine Autos ein und steckte sie in die Taschen seiner blauen Shorts. Schließlich stand er auf – steifbeinig wie mein Vater an einem Februarmorgen, aber in den Hüften beweglich wie Gummi. Als er stand, krümmte er die Finger und begann seinen Dreizehn-Achtel-Takt zu klopfen. Er stand unter Druck – hohem Druck –, kämpfte aber dagegen an. Ich ließ ihm Zeit. Er knurrte laut und drehte sich zu mir um.
    Auf der linken Wange – das war mir bis dahin in dem schummrigen Licht und bei seiner Kopfhaltung verborgen geblieben – hatte er einen blauen Fleck mit den unverkennbaren Umrissen einer Hand.
    Der Mann, der gerade erst aus dem Gefängnis gekommen war, wäre ausgerastet. Er wäre aufgesprungen und hätte sich jemanden gesucht, dem er es heimzahlen konnte.
    »Hat Großmutter dir heute früh dein Müsli gemacht?« Ich bemühte mich um einen unbeschwerten Ton.
    Er knurrte rhythmisch etwas.
    »Crunchy-crunchy-lecker?« Ich zwang mich zu lächeln. Es war egal. Auf Lächeln reagierte er nie. Er konnte es nicht deuten.
    »Gut. Dann sind wir hier weg, mein Freund. Wir kaufen dir unterwegs was zu essen.«
    Er sah mich angewidert an. »Nein«, sagte ich. »Wir halten an einem Diner.«
    Ich ließ ihn vorangehen. Auf einer Treppe wollte ich ihn noch immer nicht hinter mir haben.
    Mamma hatte aufgehört zu reden. Sie schrie laut.
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