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Am Ende zählt nur das Leben

Am Ende zählt nur das Leben

Titel: Am Ende zählt nur das Leben
Autoren: Katja B.
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werden und durchs Leben zu schwingen. Unsere Eltern gesellten sich zu uns, wenig später unsere Geschwister und dann alle, die noch Platz zum Tanzen fanden. Die Zeit verging wie im Flug, und als wir um Mitternacht die Hochzeitstorte anschnitten, konnte ich kaum glauben, dass wir uns vor mehr als zwölf Stunden das Jawort gegeben hatten.
    Ich war voller Liebe.

Alle sprechen von Depression
    Im November 2009 hörte ich im Radio die Nachricht vom Selbstmord Robert Enkes. Der Torwart des Bundesligaclubs Hannover 96 hatte sich vor einen Zug geworfen. Er litt an Depressionen, wie es hieß. Die Nachricht durchfuhr mich wie ein Schock. Erinnerungen kamen hoch, und ich versuchte meine Gedanken und Gefühle zu kontrollieren. Robert Enke: Fast jeder in unserer Region und weit darüber hinaus kannte ihn. Er war ein erfolgreicher Sportler, ein Nationaltorhüter, ein Mensch, der mitten im Leben stand, ein Familienvater und eine bekannte und gleichermaßen beliebte Persönlichkeit.
    Plötzlich war das Thema Depression in aller Munde. Alle sprachen von Ahnungslosigkeit angesichts der traurigen Nachricht, und ich dachte an meine eigene damalige Ahnungslosigkeit. Erschreckende Statistiken tauchten auf. Angeblich litten in Deutschland über vier Millionen Menschen an Depressionen. Jeder Fünfte erkrankt im Laufe seines Lebens einmal an einer Depression, ein Viertel der Bevölkerung zeigt depressive Symptome, Tendenz steigend, hieß es.
    Ich musste an die Hinterbliebenen von Robert Enke denken, seine Frau, Angehörigen, Freunde und Vertrauten. Sie waren Betroffene seines Selbstmordes. Was mochte in ihnen vorgehen? Wenn ich an meine Schuldgefühle nach dem Tod meiner Tochter dachte, dann fielen mir die Worte meiner Therapeutin ein. Sie hatte mich gelehrt, mit diesen Gefühlen umzugehen.
    Denken Sie niemals daran, Schuld an dem Selbstmord oder gar an dem erweiterten Selbstmord zu tragen. Ihr damaliger Mann war ein erwachsener Mensch. Er hat es so entschieden und entsprechend gehandelt. Sie haben vorab vernünftig mit ihm über Ihre Eheprobleme gesprochen. Mehr konnten Sie nicht tun! Sie konnten zu keinem Zeitpunkt wissen, was in seinem Kopf vorging, welche Taten er plante und wozu er imstande war.
    Ich hatte am eigenen Leib erfahren, wie stark das Thema Depression mit Tabus belegt war. Doch als der beliebte Torwart sich das Leben nahm, wurde seine Krankheit sofort beim Namen genannt und allerorten Verständnis gezeigt. Zu spät für einen erfolgreichen Mann, der Angst um den Verlust seiner Anerkennung gehabt haben musste. Robert Enke litt unter Versagensängsten, teilte die Presse mit. Bei Cay gab es möglicherweise ähnliche Ängste. Er hatte als Ehemann und Vater versagt, und vielleicht hatte er auch geglaubt, in anderen Bereichen ein Versager zu sein. Ihm war es nie in den Sinn gekommen, mit mir oder seinen Kollegen offen über seine Krankheit zu sprechen. Einzig seine ehemalige Partnerin schien etwas gewusst zu haben. In der Firma wie auch in seinem Privatleben hatte er die Fassade des tollen Cay aufrechterhalten. Wie viel Mühe und Kraft musste ihn das gekostet haben? Wenn er unsere Sarah nicht mit in den Tod genommen hätte, dann wäre ich sogar zu Mitleid fähig.
    Aber ich kenne auch die Seite derer, die von eigenen Depressionen betroffen sind, denn ich habe schließlich selbst darunter gelitten. In der Klinik war diese Störung mit Fachausdrücken konkretisiert worden, die mir anfangs nicht viel sagten: Belastungsstörung mit Intrusionen, insbesondere bei Fokussierung auf die Problematik, deutlicher Affektlabilität mit Flashback-artigen Zuständen, depressiv getöntes Stimmungsbild, unwillkürliches Weinen sowie dissoziationsähnliche Zustände mit Grübelneigung. Meine Störung zeigte sich in vielfältiger Weise, für die ich selbst keine anderen Namen fand als Trauer und Tränen. Es gab Phasen, in denen ich niemanden mit meinen Problemen belasten wollte, niemanden außer meinen engsten Vertrauten. Die Gespräche mit Robert und Anja haben mir immer über die schlimmste Schwermut hinweggeholfen, aber nicht jeder hat ein vertrauensvolles Umfeld, und nicht jeder ist in der Lage, über seine Gefühle zu sprechen. Mir wäre es nie in den Sinn gekommen, weitere Personen mit meinen Problemen zu belasten.
    Meinen gleichaltrigen Freunden merkte ich ein gewisses Desinteresse oder auch Unkenntnis an. Sie fragten mich damals zwar nach meinem Befinden, aber eigentlich wollten sie keine tief gehende Antwort haben. Sie waren unsicher. Wie
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