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Am Ende ist da nur Freude

Am Ende ist da nur Freude

Titel: Am Ende ist da nur Freude
Autoren: David Kessler
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Problemen, die das Alter mit sich bringt. Barbara erzählte, wie schwer es war mit anzusehen, wie ihre Mutter allmählich immer weniger wurde. Dann sagte sie mir, dass die Mutter einer Freundin vor kurzem gestorben war. »Ich verstehe gar nicht, warum ich so niedergeschlagen bin. Ich habe doch schon mehr Menschen verloren.«
    Barbara hatte in der Tat viel mitgemacht. Sie arbeitete ehrenamtlich in einem Hospiz und hatte die Vietnam-Zeit und dann die Aids-Krise erlebt. Sie hatte mit ansehen müssen, wie viele ihrer Freunde innerhalb kurzer Zeit starben.
    »Die Vergangenheit ist etwas anderes«, erwiderte ich. »Vietnam war ein Krieg, und als Aids ausbrach, warst du an vorderster Front.«
    Sie stimmte zu. Dieses Mal war es für sie etwas anderes. So geht es übrigens uns allen. Nicht nur unsere Eltern, auch wir werden älter. Der plötzliche Tod, den wir uns als junge Menschen vorgestellt haben, verwandelt sich später in den zeitlupenlangsamen Verfall unseres Körpers. Statt »lebe schnell und stirb jung« müssen wir geburtenstarke Jahrgänge uns im Augenblick oft mit dem natürlichen
Voranschreiten von Leben und Sterben auseinandersetzen. Barbara brachte es auf den Punkt mit ihrer Frage: »Gibt es denn nichts, worauf wir uns freuen können? Ist das alles? Nur Leiden und Tod?«
    Ich sagte ihr, der Tod sei unvermeidlich, das Leiden jedoch nicht. Aber es ging um noch mehr. Ich hörte ihre Worte, aber ich hörte auch das, was ungesagt in ihnen mitschwang. »Hast du keine Hoffnung mehr?«, fragte ich.
    Das war genau das Thema … und Barbara fing an zu schluchzen. Wenn sie 500 Tränen weinen müsse, sagte ich ihr, dann solle sie nicht nach 300 aufhören. Und als sie am nächsten Tag anrief, um mir zu sagen, dass es ihr besser ginge, wusste ich, warum ich dieses Buch schreiben wollte und worum es darin gehen sollte.

Ein Buch über die Hoffnung
    Obwohl wir meine Mutter viel zu früh verloren hatten, blieb mein Vater sein Leben lang ein unglaublicher Optimist, sogar als er starb. Ich war sehr damit beschäftigt, dafür zu sorgen, dass er es bequem hatte und schmerzfrei war. Deshalb merkte ich zunächst gar nicht, dass er tieftraurig wurde. Er sagte mir, wie sehr er mich vermissen würde, wenn er nicht mehr da wäre. Und dann sprach er davon, wie intensiv er sich von allem verabschiedete: von seinen Lieben, von seinen Lieblingsspeisen, vom Himmel, von der Natur und von tausend Dingen mehr auf
dieser Welt. Seine Traurigkeit überwältigte ihn, und ich konnte (und wollte) sie ihm nicht abnehmen.
    In den folgenden Tagen war mein Vater sehr niedergeschlagen. Aber dann erzählte er mir eines Morgens, dass meine Mutter, seine Frau, ihn in der Nacht besucht habe. »Ich habe nur gesehen, was ich alles verliere, und dabei habe ich ganz vergessen, dass ich nun wieder bei ihr sein werde«, sagte er. Er sah mich an, als würde ihm gerade klar, dass ich hierbliebe. Und dann fügte er hinzu: »Wir werden dort auf dich warten.« Im Laufe der nächsten beiden Tage änderte sich sein Verhalten dramatisch. Er wandelte sich von einem Sterbenden ohne jede Hoffnung, der nur noch den Tod vor sich hatte, zu einem hoffnungsfrohen Menschen, der bald wieder mit der Liebe seines Lebens vereint sein würde. Mein Vater lebte mit der Hoffnung … und starb auch mit ihr.
    Auch als jemand, der den größten Teil seines Lebens über Tod und Sterben geschrieben, gelehrt und mit Sterbenden gearbeitet hat, kann ich Ihnen nicht sagen, ob die Vision meines Vaters real war. Ich kann nur über mein Erleben als Sohn und über zahllose weitere solche Vorfälle sprechen, die sich Tag für Tag ereignen. Ich glaubte immer, wir müssten lediglich das Leiden der Sterbenden lindern, und zwar durch ein gutes Schmerzmanagement und eine aufmerksame Symptomkontrolle. Heute weiß ich, dass wir mehr zur Verfügung haben als Opiate gegen die Schmerzen und angstlindernde Medikamente gegen Furcht und Unruhe – uns steht auch das zur Verfügung, was den Sterbenden
auf dem Weg ins Jenseits begegnet und was für sie vielleicht der größte Trost ist.
    Es ist mein Wunsch, dass Sie die Hoffnung finden, die mein Vater gefunden hat – und die Hoffnung, die ich empfand, als ich ihm zugehört habe. Es ist dieselbe Hoffnung, die so viele Patienten und Familienangehörige empfinden, wenn sie solche Visionen erleben.
    Darum also geht es in diesem Buch: um Hoffnung . Hoffnung, dass es noch mehr gibt. Hoffnung, dass wir nicht bloß zusehen müssen, wie einer nach dem anderen langsam stirbt
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