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Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Titel: Am Ende des Tages
Autoren: Robert Hültner
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hinzugekommen, weshalb bei einer erneuten Verhandlung nichts anderes als die Bestätigung der lebenslangen Zuchthausstrafe zu erwarten sei.«
    Der klobige Schädel des Gefangenen sank zwischen seine Schultern. »Aber … das ist doch keine Gerechtigkeit nicht«, flüsterte er, »ich hab meine Frau nicht erschossen … Ich bin doch gar nicht an dem Platz gewesen, wo es passiert ist …«
    »Aber das wissen wir doch!«, rief der Anwalt mit demonstrativer Überzeugtheit. »Und deshalb, Herr Rotter, geben wir nicht auf, hören Sie?«
    Der Gefangene stierte auf die Brust des Anwalts.
    Herzberg griff nach einer Stuhllehne. »Setzen wir uns doch erst einmal.« Er legte seinen Homburg auf die abgeschabte Tischplatte und setzte sich. Mit einer unwillkürlich ungeduldigen Handbewegung, die er sofort wieder bereute, bedeutete er seinem Mandanten, es ihm gleichzutun.
    Der Sträfling löste sich aus seiner Starre und ließ sich auf der anderen Seite des Tisches nieder, während Herzberg eine Schriftmappe aus seiner Tasche zog und mit geschäftiger Geste aufschlug. »Ich habe natürlich sofort Beschwerde beim Obersten Landesgericht eingereicht. Ich rechne damit, dass wir in spätestens zwei Monaten eine Antwort haben. Ich weiß, dass das für Sie erneutes Warten bedeutet und es für Sie wie Hohn klingen muss, wenn ich sage: Sie sitzen nun schon seit fast zehn Jahren hier ein, da kommt es auf ein paar weitere Monate nicht mehr …« Er beendete den Satz nicht. Es klingt nicht nur wie Hohn, dachte er. Es ist Hohn.
    Rotters Stimme war kaum zu hören: »Und wenn … wenn das auch wieder abgelehnt wird?«
    »Dann gibts die nächste Beschwerde«, tönte der Anwalt mit gezwungener Zuversicht. »Das ist doch wohl selbstverständlich, Herr Rotter! Wir sind im Recht und werden Recht bekommen!« Er setzte ein überlegenes Lächeln auf. »Alles, was ich in den vergangenen Jahren an entscheidenden neuen Erkenntnissen beigebracht habe, als unmaßgeblich zu bezeichnen, wäre ja nun wahrlich ein starkes Stück.«
    Er wich zurück. Der Gefangene hatte den Stuhl mit lautem Scharren zurückgestoßen und war aufgesprungen. Seine Augen brannten. »Es hat doch keinen Zweck mehr!«, brüllte er.
    »Hock dich hin, Naz«, ließ sich der Wärter vernehmen.
    »Bitte«, sagte Herzberg beschwörend. »Behalten Sie Ruhe, Herr Rotter. Wir wollen doch jetzt nichts riskieren.«
    »Hinhocken«, wiederholte der Beamte ruhig. »Schreierei vertrag ich nicht. Da kann ich ganz ekelhaft werden. Das weißt ja, Naz. Oder nicht?«
    »Bitte, Herr Rotter«, sagte der Anwalt.
    Der Gefangene blickte wild um sich. Dann nickte er, tastete nach dem Stuhl und setzte sich wieder. Sein Kinn bebte. Er verbarg sein Gesicht in seinen Händen.
    »Ich bins doch nicht gewesen …«, flüsterte er.
    »Und genau deshalb geben wir nicht auf! Menschenskind! Rotter!«
    Der Sträfling wischte sich mit dem Handrücken über die Wange.
    »Aber … das … das geht doch ewig so weiter, und … und mir geht doch auch langsam das Geld aus …«
    »Machen Sie sich deshalb keine Sorgen. Das wird sich regeln, wenn die Sache ausgestanden ist. Bestätigen Sie mir lediglich, dass Sie sich mit meinem weiteren Vorgehen einverstanden erklären.«
    Der Gefangene brütete eine Weile vor sich hin. Schließlich nickte er.
    »Was anderes … was anderes bleibt mir eh nimmer.«
    »Es ist in der Tat das einzig Richtige, Herr Rotter«, munterte ihn Herzberg auf. »Noch einmal: Wir dürfen nicht aufgeben, hören Sie? Fassen Sie Mut. Achten Sie auf Ihre Gesundheit. Versprechen Sie es mir?«
    Der Sträfling schien die Frage überhört zu haben. Er schüttelte kraftlos den Kopf und murmelte: »Wieso … wieso hätt ich meine Frau denn umbringen sollen?«
    Herzberg beugte sich fragend vor. Wieder stieg Widerwillen in ihm auf. Wann würden die Landschulmeister den Landbewohnern endlich beibringen, sich verständlich auszudrücken. »Bitte was?«, fragte er beherrscht.
    Rotter sah auf, als würde ihm erst jetzt wieder die Anwesenheit seines Anwalts bewusst. »Wieso ichs getan haben soll«, sagte er. »Dafür hätts doch gar keinen Grund nicht gegeben.«
    »Das wissen wir doch, Herr Rotter.«
    Nicht schon wieder, dachte Herzberg. Tausendmal haben wir das jetzt schon durchgekaut. Aber du musst ihn jetzt reden lassen. Er hat keinen anderen mehr. Es hilft ihm.
    Er fuhr fort: »Leider wissen wir aber auch, dass das Gericht glaubt, darauf eine Antwort gefunden zu haben. Man sieht das Tatmotiv eben darin, dass es um Ihre Ehe
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