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Am Ende des Tages

Am Ende des Tages

Titel: Am Ende des Tages
Autoren: Robert Hültner
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dem Sitz. »Aufhören!«, brüllte er.
    Mit geübtem Griff hatte der Wärter seinem Gefangenen die Arme auf den Rücken gedreht. Rotter stöhnte gepeinigt auf. Der Wärter schob ihn zur Tür. Er warf dem Anwalt einen ausdruckslosen Blick zu.
    »Werden einsehen, dass ich das melden muss, Herr Doktor.«
    Er stieß den Gefangenen zur Tür hinaus. Herzberg starrte ihnen nach.
    Das bedeutet wieder Einzelhaft, dachte er, zwei, drei oder mehr Wochen. Lange hält Rotter das nicht mehr durch.
    Mechanisch zog er ein Tuch aus seiner Tasche und wischte sich über die Stirn. Dann griff er nach Mappe und Hut.
    Ich muss mir etwas einfallen lassen, dachte er.

4.
    Der dumpfe Mief von Leinöl, durchzogen vom Duft süßlichen Virginiatabaks, empfing Kajetan, als er in das Büro des neuen Leiters der Kriminalabteilung der Polizeidirektion München geführt wurde.
    Regierungsrat Dr. Rosenauer war eine stattliche Erscheinung mit soldatisch ausrasiertem Bürstenschnitt und gepflegtem Knebelbart. Nachdem er den Kommissar mit einer Kopfbewegung aus dem Raum gewiesen hatte, winkte er Kajetan heran.
    »Also Sie sind derjenige, der sich nicht davon abbringen lassen mag, dass er am Leben ist.« Er lehnte sich zurück und legte seine Hände auf die Schreibtischkante. »Der von den Toten Auferstandene, sozusagen.«
    »Sozusagen«, echote Kajetan. Er nahm den Hut ab und versuchte ein Lächeln.
    Sein Gegenüber erwiderte es nicht. Seine Lippen kräuselten sich abschätzig. »Wenn ich Sie mir so anschau, kann ich dem tatsächlich erst einmal nicht widersprechen. Jedenfalls schauns tatsächlich nicht aus wie einer, der ein paar Monat auf dem Ostfriedhof vor sich hingemodert hat.«
    Er wies gebieterisch auf einen Stuhl. Kajetan gehorchte.
    Es klopfte. Eine Sekretärin trippelte herein, legte ein Aktenbündel auf den Tisch des Kripoleiters und zog sich wieder zurück.
    Rosenauer schickte ihr ein knappes Nicken hinterher, verschränkte seine Arme vor der Brust und betrachtete Kajetan mit ausdrucksloser Miene. »Ihr Erscheinen in der Einwohnermeldestelle scheint da aber irgendwo doch den Verdacht genährt zu haben, Sie könnten ein Schwindler sein.«
    »Bin ich aber nicht. Ich …«
    »Sie reden, wenn ich Sie etwas gefragt habe, verstanden?«, sagte der Kripochef schneidend.
    Kajetan atmete flach. Er nickte.
    »Also!« Rosenauer fixierte ihn streng. »Ich erwarte eine Erklärung für diese, wie Sie zugeben müssen, reichlich konfuse, zudem makabre Angelegenheit, Herr Kajetan. Und damit Sies gleich wissen: Das Märchen, Sie hätten Ihren Ausweis verloren oder er sei Ihnen gestohlen worden, können Sie Ihrer Großmutter auftischen.«
    »Wieso? So was kommt doch immer wieder mal vor?«
    »Da haben Sie Recht«, erwiderte der Kripoleiter eisig. »Von derartigen Fällen unterscheidet sich Ihre Angelegenheit lediglich durch die Tatsache, dass man vor mehreren Wochen eine Leiche geborgen hat. Eine, die nur noch durch einige Fetzen eines Ausweises identifizieren werden konnte.« Er reckte sein Kinn gegen Kajetan. »Ihres Ausweises.«
    Kajetan setzte zu einer Entgegnung an. Rosenauer hob abwehrend die Hand.
    »Ich weiß, mit was Sie mir kommen möchten. Es könnte sich bei dieser Leiche schließlich um die Person gehandelt haben, die Ihnen Ihren Ausweis gestohlen hat, nicht wahr?«
    Kajetans Unruhe wuchs. Diese Erklärung war es, die er sich zurecht gelegt hatte. Er versuchte, sich harmlos zu geben. »Liegt doch nah, oder?«
    »Auf den ersten Blick, sicher«, räumte der Kripoleiter herablassend ein. »Was einen aber dennoch einigermaßen stutzig machen könnt, ist Ihr rätselhaftes Verschwinden unmittelbar nach dem Tod dieses angeblichen Diebes. Woraus sich die Frage ergibt, weshalb Sie untergetaucht sind. Dem Beamten in der Meldestelle habens was von einem längeren Erholungsaufenthalt im Gebirge weismachen wollen.«
    »Aber es stimmt. Ich …«
    »Schluss jetzt!« Rosenauer beugte sich mit einem Ruck vor. »Für wie dumm halten Sie uns?« Ohne eine Antwort abzuwarten, zog er das Aktenbündel heran. »Das ist Ihr Akt!« Er setzte seine Brille auf, schlug den Deckel zurück, beugte sich über die Papiere und las laut: »Paul Kajetan, geboren 21. Oktober 1888 in Unterföhring bei München. Einziges Kind der Eheleute Kajetan Jakob, zuletzt Ziegelei-Akkordant, und seiner Gattin Maria, geborene Schilleder. Während die Mutter eine gebürtige Münchnerin ist, handelt es sich beim jung verstorbenen Vater um einen naturalisierten Fremdarbeiter aus dem Friaul, dessen
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