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Am Ende der Wildnis

Am Ende der Wildnis

Titel: Am Ende der Wildnis
Autoren: J Vaillant
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breite Kanal – an manchen Stellen kaum mehr als dreißig Meter tief – wurde nach der britischen Schaufelrad-Sloop H. M . S . Hecate benannt. Mit schweren Geschützen bewaffnet, wurde das Schiff 1861 zu den Charlottes gebracht, wo es sowohl die umliegenden Gewässer inspizieren als auch sicherstellen sollte, dass die kürzlich eingetroffenen Kupferminenarbeiter nicht von den Haida angegriffen wurden. Geografische Punkte nach dem eigenen Schiff zu benennen war im 18. und 19. Jahrhundert eine verbreitete Gewohnheit, aber nur wenige dieser Namen passten so gut wie Hecate. Es ist nämlich der Name der griechischen Göttin der Zauberei und Hexenkunst und wird oft mit Fischern und dem Land der Toten in Verbindung gebracht. Nach dem Oxford Dictionary of Classical Myth and Religion ist sie »dem Wesen nach gespalten und vielgestaltig. Sie überbrückt Grenzen und entzieht sich der Definition.« Sie ist mit Füßen in Gestalt von Menschen fressenden Hunden dargestellt worden und gilt als die Quelle allen Überflusses, einschließlich der Unzahl an Stürmen. »Sie ist ein niederträchtiges Weibsstück«, sagte ein altgedienter Fischer von der Hecate Strait. »Manchmal glaube ich, dass sie die Charlottes ganz für sich allein haben will.« Noch immer hält schwere See regelmäßig die einhundert Meter lange Passagierfähre auf, die den Kontinent mit den Inseln verbindet. Die siebenstündige Überfahrt kann so stürmisch sein, dass Lastwagen ans Deck gekettet werden müssen wie Container bei Überseetransporten.
    Graham Island und Moresby Island bilden das Rückgrat des sich nach Süden verjüngenden Queen-Charlotte-Archipels, und obwohl Moresby an manchen Stellen nur acht Kilometer breit ist, streckt es sich doch als Keil steiler neuer Berge fast zwei Kilometer hoch in den Himmel. Hunderte Wasserfälle und Dutzende von Bächen und Flüssen strömen auf allen größeren Inseln von den Bergen herab, darunter der Yakoun. Er entspringt in den Queen Charlotte Mountains am Südende von Graham Island und sammelt sich im Yakoun Lake, bevor er nordwärts zum Masset Inlet und zum Meer strömt. Als längster Fluss des Archipels und Ursprung von dessen größten Forellen- und Lachswanderungen, ist der Yakoun so etwas wie die Aorta im Gesamtkörper der Inseln. Das niedrige angeschwemmte Tal, durch das er fließt, ist bekannt für seine gewaltigen uralten Wäl der und besonders dessen hohe Anzahl astfreier und gerade gemaserter Sitka-Fichten. Eine Talsohle wie diese sollten die kommerziellen Holzfäller – die jedoch auf den Charlottes nicht vor dem 20. Jahrhundert auftauchten – als spruce flat , eine Ansammlung vieler alter Fichten, bezeichnen. Hier ist der Erdboden tiefer und fruchtbarer als an den Berghängen, und das schafft im Zusammenspiel mit dem milden Klima der Queen Charlottes und einer jährlichen Regen sintflut, die bis zu fünf Meter erreichen kann, ideale Wachstumsbedingungen nicht nur für die Sitka-Fichte, sondern auch für ihre üblichen Nachbarn, die Westamerikanische Hemlock-Tanne und die Western Red Cedar. Besonders Hemlock-Tanne und Fichte vermehren sich auf absterbendem am Boden liegendem Totholz; diese verrottenden und an Humus reichen Bäume haben für jeden Sämling einen Festschmaus parat, ähnlich wie die Frucht des Apfels dessen Kerne ernährt. Wenn so ein Stamm von dem jungen Wald um ihn herum aufgezehrt wird (ein Prozess, der Hunderte Jahre dauern mag), kann es geschehen, dass die jüngeren Bäume auf stelzenähnlichen Wurzeln ein ganzes Stück über dem Boden stehen. Im Laufe der Zeit füllen sich die-se Lücken dann, eine vierhundertjährige Sitka-Fichte, die unter sich einen Tunnel hat, durch den man kriechen könnte, ist nicht ungewöhnlich.
    Von allen Koniferen der Westküste scheint die Sitka-Fichte von Natur aus am besten für eine maritime Umgebung geeignet. Ihre langgezogene und schmale geografische Verbreitungsfläche spiegelt die des Regenwaldes, und die Art zeigt eine Vorliebe dafür, sich so aufzupflanzen, dass sie Stürmen trotzen kann. Sitka-Fichten beweisen hohe Resistenz gegenüber Salznebel und bilden oft die erste Verteidigungslinie zwischen See und Wald. Ihre Größe und Stärke bricht stürmische Winde, denen weniger große Bäume zum Opfer fallen würden. Die Sitka-Fichte ist weltweit die größte und am längsten lebende Fichten-art; sie kann älter als achthundert Jahre und über neunzig Meter hoch werden, was sogar für einen Redwood sehr hoch ist. Gemessen am kolossalen Ergebnis
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