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Am Ende der Angst

Am Ende der Angst

Titel: Am Ende der Angst
Autoren: Martin Johannson
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in ihrem Laden, der nur ein paar Straßen entfernt lag, wenn ich in der Nähe war, traf sie im Haus oder an den Mülltonnen und fragte sie gelegentlich um Rat und Beistand. Sie hörte mir zu, lachte über meine Witze und bewunderte meine Arbeit. Sie kaufte sich jetzt sogar regelmäßig den Financial Report, für den ich arbeitete, um meine Artikel darin zu lesen. Wenn sie mich mit ihren grünen Augen ansah und dabei lächelte, vergaß ich alles andere um mich herum.
    »Was passiert eigentlich, wenn du nicht pünktlich fertig wirst mit deinem Osterartikel?« Ihre Stimme war wie brauner Samt. Wie weicher, brauner Samt, der über meine Haut strich und sie prickeln ließ.
    »Dann müssen sie einen Bericht vom letzten Jahr drucken, in dem einfach nur die Daten aktualisiert werden.«
    Sie lachte. »Mehr nicht?«
    »Ach ja, ich werde dann wahrscheinlich gefeuert.«
    »Oh.«
    Das Kerzenlicht reichte inzwischen fast nicht mehr aus, um das Zimmer zu erhellen. Die Sonne war bereits vollständig untergegangen und die Dunkelheit kroch durch die Fenster in die Wohnung.
Ich hatte das Gefühl, dass mir der Kragen zu eng wurde – und nicht nur der – als sie mich mit mitleidiger Miene ansah und ich das Kerzenlicht in ihren Augen glitzern sah. Ihre Nähe und die Intimität der Nacht, die wie mit einem Schwarzstift alles um uns herum ausradierte, machten mich schwindelig. Der Wein vernebelte meinen Kopf zusätzlich, denn wann immer ich mich von meinen Gedanken an sie und ihre offensichtlich nicht vorhandene Unterwäsche ablenken wollte, griff ich zum Glas.
    Sie lächelte mich an. »Es ist lange her, dass ich einen Mann bekocht habe.« Ihr Blick verhakte sich in meinem.
    »Dafür hast du es ziemlich gut hingekriegt.« Ich hatte das Gefühl, dass meine Stimme so heiser klang wie die eines Teenagers im Stimmbruch. Ich wollte wieder zum Glas greifen, doch es war leer.
    Ich musste raus hier.
    Eilig stand ich auf und ging zu der Terrassentür, um frische Luft zu atmen und dadurch meinem Verstand wieder zu Klarheit zu verhelfen.
    Es war kalt draußen und tiefdunkel. Nur aus wenigen Fenstern der umliegenden Häuser schien noch etwas Licht. Auf einem Balkon im Haus gegenüber stand ein Mensch und rauchte. Sein Schatten hob sich vom Dunkel der Mauer ab, das rote Licht der Zigarettenspitze glühte in der Dunkelheit auf.
Hinter mir hörte ich das leichte Klappen der Terrassentür und spürte Claras Anwesenheit direkt neben mir. Sie roch nach Vanille und Apfel.
    Mit leiser Stimme sagte sie: »Warum tun wir Dinge, die nicht gut für uns sind? Warum fühlen wir uns so angezogen von dem, was uns schadet?«
    Ich hoffte, dass ihre Worte dem Raucher gegenüber galten, doch ich fürchtete, dass sie etwas ganz anderes meinte. Dass sie mich meinte.
    Sie lehnte an der Mauer ihrer Terrasse. Ihr Körper verschmolz fast mit der Wand, nur ihr Haar hob sich dunkel davon ab. Um sie nicht ansehen zu müssen, starrte ich unaufhörlich zu der Zigarette gegenüber. Doch der Raucher hatte anscheinend inzwischen genug, denn das rote Glühen flog über die Brüstung seines Balkons, fiel ein Stockwerk nach unten, taumelte kurz an einem beleuchteten Balkongeländer und der darunter liegenden Dachrinne, bis es in dem schwarzen Abgrund landete, der bei Tageslicht ein Rasen war. Ihr Licht erstarb in der Feuchtigkeit des Grases.
    Ich sah Clara an. »Es ist das Spiel mit dem Feuer, denke ich, das uns anzieht. Das Risiko, das das Leben aufregend und abenteuerlich macht.«
    Sie lächelte in die Dunkelheit. »Spielst du gern mit dem Feuer?« Ihre Stimme war so leise und dunkel, dass ich kaum noch atmen konnte. Plötzlich spürte ich ihre Hand auf meinem Arm.
    In diesem Moment hatte ich das Gefühl, als wäre ich nicht mehr Herr meiner Sinne und meines Körpers. »Ich weiß nicht, wann ich das letzte Mal gespielt habe. Es ist lange her.«
    Mein Mund hatte sich selbstständig gemacht und redete, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Und auch der Rest meines Körpers machte, was er wollte. Ich konnte nicht mehr. Ich gab auf. Ihre Hand zog mich sanft zu ihr, und ich ließ es geschehen. Clara löste sie sich von der Wand und zog meinen Kopf mit ihrer anderen Hand zu sich. Ihr Haar kitzelte mich an der Wange, ihre Nase streifte mein Kinn, bis ihre Lippen meinen Mund fanden und ihn küssten.
Sie schmeckte unbeschreiblich. Wie die verbotene Frucht und das gelobte Land. Wie Anfang und Ende, süß und bitter, alles und nichts.
    Ich kann nicht behaupten, dass ich in diesem Augenblick
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