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Am Dienstag sah der Rabbi rot

Am Dienstag sah der Rabbi rot

Titel: Am Dienstag sah der Rabbi rot
Autoren: Harry Kemelman
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Rabbi? Bedeutet das, dass Sie an den Tagen, an denen Sie in Boston sind, nicht teilnehmen können?»
    «Nicht unbedingt. Übrigens verlangt meine Rolle als Rabbi nicht, dass ich immer als zehnter Mann beim täglichen minjan fungieren muss. Es scheint ja auch ohne mich sehr gut zu gehen, wenn ich jetzt mal verhindert bin.»
    Nachdem er sie verlassen hatte, und sie zum Parkplatz zu ihren Autos gingen, sagten sie, was sie wirklich dachten.
    «Mir ist aufgefallen, dass der Rabbi immer nur vom Windemere College gesprochen hat. In Wirklichkeit heißt es Christliches College Windemere. Vielleicht bin ich altmodisch, aber mir kommt es komisch vor, dass ein Rabbi an einem christlichen College unterrichten soll.»
    «Heutzutage hat das gar nichts zu sagen. Heute gehen Jungen auf Mädchenschulen und Mädchen auf Jungenschulen. Und jüdische Kinder gehen sogar auf katholische Schulen.»
    «Ja, aber muss dieses Christlich gleich noch im Namen stehen! Wenn es, sagen wir mal, Notre Dame hieße, würde ich ja nichts sagen.»
    «Notre Dame! Weißt du, was das bedeutet? Es heißt ‹Unsere Dame›. Und du wirst ja wohl wissen, welche Dame damit gemeint ist?»
    «Na und? Ich meine, da merkt man es nicht gleich am Namen. Außerdem war Maria ja wohl ein jüdisches Mädchen, wie?»
    Sie lachten. Dann brachte ein anderer einen neuen Einwand auf. «Mich stört nur die Art, in der er es uns erzählt hat. Er verkündet einfach, dass er unterrichten wird. Er fragt uns nicht. Er teilt es uns einfach mit.»
    «Glaubst du, dass er dafür bezahlt wird?»
    «Soll das ein Witz sein? Hast du schon mal von einem Rabbi gehört, der was umsonst macht?»
    «Ich kann nur sagen, dass er hier ganztägig beschäftigt ist. Wenn er also Geld bezahlt bekommt, soll er es, bei Gott, unserem Schatzmeister geben. Wenn ein Ingenieur beim E-Werk von General Electrics eine Erfindung macht, gehört sie General Electrics.»
    «Ja, ja, und das glaubst du?»
    «Nein, aber ich meine, jemand sollte ihn fragen.»
    «Gut. Ich setze dich an die Spitze eines Ein-Personen-Ausschusses.»
    «Ich rede nicht von mir. Der Präsident oder der Schatzmeister müssten das übernehmen.»
    «Mann, das machen die doch andauernd. Wenn die irgendwohin fahren, um einen Vortrag zu halten, geben sie dann das Geld ab? Und einige von diesen progressiven Rabbis reden mehr außerhalb des Tempels als darin.»
    «Mir wäre es gar nicht so unlieb, wenn ein paar von den Predigten des Rabbi draußen gehalten würden, um ehrlich zu sein.»
    Sie lachten vor sich hin.
    «Wenn es noch Harvard oder das Massachusetts Institute of Technology wäre», bemerkte Norman Phillips, der mit Werbung zu tun hatte. «Das würde der Synagoge Ansehen verschaffen. Aber Windemere?» Er machte eine abfällige Geste. Obwohl Norm schon Mitte vierzig war, kleidete er sich sehr modern: zweifarbige Schuhe, eine weit ausgestellte Hose, die auf der Hüfte saß und von einem breiten Ledergürtel mit einer schweren Messingschnalle gehalten wurde. Das lange Haar war nicht von einem Friseur, sondern von einem Haar-Stylisten geschnitten. Seine Meinungen hatten bei den anderen Mitgliedern des Vorstands ein gewisses Gewicht, da sie vermuteten, er wisse, was die jungen Leute aus der Gemeinde dachten.
    «Was stimmt denn nicht an Windemere?», fragte Malcolm Selzer kriegerisch. «Mein Abner studiert da, und er sagt, es ist ein verdammt gutes College. Und er sollte es wissen, weil er im ersten Jahr in Harvard war, und ihm gefällt Windemere besser.» Malcolm Selzer war seiner Kleidung nach bestimmt nicht auf der Höhe der Zeit. Im Kühlschrank-Geschäft, wo man andauernd im Laden schwere Modelle herumschieben oder sogar beim Verladen Hand anlegen musste, war es schon schwierig genug, die Anzüge sauber und unzerknautscht zu halten.
    «Hat dein Abner nicht in der Zeitung gestanden, als damals die Bombe hochgegangen ist? Mir ist so, als hätte er eine Stellungnahme der Studentenorganisation verkündet.»
    Malcolm Selzer nickte stolz. «Ja, das hat er. Er hatte natürlich nichts damit zu tun, aber in der Studentenorganisation ist er ein großes Tier. Er hat dauernd Verhandlungen mit den Fakultätsausschüssen und der Verwaltung. Die heutige Jugend beteiligt sich an allem; es ist anders als früher bei uns.»
     
    Miriam, die Frau des Rabbi, hatte ebenfalls Fragen. Sie war winzig, und die Last der blonden Haare schien sie fast aus dem Gleichgewicht zu bringen. Sie hatte große blaue Augen, die ihrem Gesicht etwas Treuherziges gaben, aber der
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