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Am Dienstag sah der Rabbi rot

Am Dienstag sah der Rabbi rot

Titel: Am Dienstag sah der Rabbi rot
Autoren: Harry Kemelman
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werden tanzen? Er kann tanzen?», fragte Mr. Chernow in gespieltem Erstaunen und nahm damit den Streit wieder auf, den er mit seiner Frau führte – niemals natürlich in Gegenwart ihrer Tochter –, seit er erfahren hatte, dass er im Begriff war, Robert Fine als Schwiegersohn zu erwerben: der junge Mann hinkte nämlich etwas und ging mit einem Stock. «Ich habe eine Tochter, ein hübsches Mädchen, und das Beste, was sie bekommen kann, ist angestoßene Ware?»
    «Er ist leicht behindert. Na und? Außerdem hat er das aus dem Krieg.»
    «Nicht aus dem Krieg. Er hat es während des Krieges bekommen. Es ist so was wie Arthritis. Er hat es mir selbst gesagt. Er hat in seiner ganzen Dienstzeit in Saigon hinter einem Schreibtisch gesessen.»
    «Und? Stört ihn das in seinem Beruf?»
    Und das traf wiederum einen empfindlichen Punkt bei Chernow: Roger Fine war Lehrer, und was verdiente ein Lehrer schon groß?
    «Er ist nicht irgendein Lehrer», wehrte Mrs. Chernow ab. «Er ist ein Professor. Er unterrichtet Englisch. In einem College.»
    «Er ist assistant professor .»
    «Auch gut, assistant professor . Was erwartest du denn? Er ist ein junger Mann. Es ist seine erste Stellung.»
    Es war nicht nur der Beruf des jungen Mannes, der Chernow irritierte, es war seine ganze Art und sein Wesen. Er war so selbstsicher, so überzeugt von seinen Meinungen – und seine Meinungen deckten sich nicht mit Chernows Meinungen. Wenn Chernow zum Beispiel über Politik sprach, hörte er zu, wie er dem Friseur beim Haareschneiden oder dem Taxifahrer zuhörte, der ihn zum Flugplatz fuhr, höflich, aber ohne Interesse. Chernow hatte den Verdacht, dass er ein Radikaler war. Wer konnte es wissen, vielleicht sogar ein Kommunist.
    Weil sein Küchenbetrieb streng koscher war, behielt Morris Lubovnik von «Lubovnik – Stadtküche – Wir haben das Hochzeitsessen Ihrer Mutter geliefert» den Hut auf, als er auf der Sofakante hockte, während seine Menuvorschläge und Preislisten auf dem großen, quadratischen Tisch vor ihm ausgebreitet waren. Edie Chernow, deren rundliche Hüften unter einer engen schwarzen Satinhose verborgen waren, saß auf der anderen Seite des Sofas, ein Bein untergeschlagen, das andere über den Sofarand baumelnd. Sie gab vor zuzuhören. Ihren Entschluss hatte sie schon beim Hereinkommen gefasst, in dem Augenblick, in dem sie den verbeulten Filzhut mit dem fettigen Hutband, die Schweißperlen auf der Stirn, die blauen Schatten auf den Wangen und die heisere, krächzende Stimme in sich aufgenommen hatte. Lubovnik hielt beim Sprechen den Blick gesenkt, oder er sah auf die Papiere auf dem Tisch; er vermied es, sie direkt anzusehen, um ja nicht den Anschein zu erwecken, er starre auf die hautenge Hose oder auf ihre Brüste, die sich klar unter der weit ausgeschnittenen weißen Nylonbluse abzeichneten. Er räusperte sich. «Es ist bei mir nicht einfach eine Frage des Geschäfts, Miss Chernow. Ich möchte ausschließlich meine Kunden zufrieden stellen. Ich möchte, dass sie noch nach Wochen die Augen zumachen können, um noch einmal den Wohlgeschmack der Knisches und der Fleischbällchen auf der Zunge zu spüren.» Er schloss die Augen und schmatzte mit den Lippen.
    «Sie können entweder das Roastbeef oder die gebackenen Hähnchen nehmen – der Preis ist der gleiche. Unsere Kunden teilen sich in zwei Gruppen: in die, die schwören, dass Lubovniks Roastbeef das Beste ist, was sie jemals gegessen haben, und in die, die dasselbe von unseren gebackenen Hähnchen behaupten.» Er lächelte breit, um anzuzeigen, dass dies ein kleiner Scherz sei. «Und dies hier», er tauchte in die Aktentasche, die auf dem Fußboden stand, und holte eine kleine Karte heraus, «ist bei unseren Auftraggebern in den vergangenen Jahren sehr beliebt geworden. Sie legen dies den Einladungen bei, und dann kann der Gast sich vorher aussuchen, ob er das Menu mit den Hähnchen oder das mit dem Roastbeef möchte. Auf die Art ist jeder zufrieden gestellt. Dies ist ein Foto einer Auswahl von Desserts, die wir vor etwa zwei Monaten geliefert haben.»
    Edie gelang es schließlich, ihn loszuwerden, indem sie versprach, die ihr überlassenen Menuvorschläge zu prüfen. Aber sogar noch, als sie ihn zur Tür drängelte, blieb er mehrmals stehen, um in der Aktentasche nach Fotos oder Dankbriefen zufriedener Kunden zu suchen. «Da fällt mir gerade ein: erst in der vorigen Woche …»
    Völlig anders war der Mann von «Stillman’s in Boston. Gegründet 1890». Erst einmal war
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