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Am Dienstag sah der Rabbi rot

Am Dienstag sah der Rabbi rot

Titel: Am Dienstag sah der Rabbi rot
Autoren: Harry Kemelman
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Lehrer für Jüdisches Denken und Jüdische Philosophie», sagte er. «Ich kannte Ihren Vorgänger, Rabbi Lamden. Laut einem meiner Studenten, der seine Vorlesung belegt hatte, hat er sich hauptsächlich über das Thema Moral ausgelassen – was für alle höchst befriedigend war. Soweit es die Studenten betraf, kassierten sie mühelos drei Punkte. Soweit es Lamden betraf, waren es ein paar angenehme Stunden in der Woche, für die er noch bezahlt wurde. Und sein Gewissen konnte er vermutlich mit dem Gedanken beruhigen, dass er seine Studenten zur Religion ihrer Väter zurückführte.»
    «Aha.»
    «Natürlich hatte die Verwaltung auch von der Vorlesung profitiert», fuhr Hendryx fort. «Sie wissen ja wohl, dass der offizielle Name Windemere Christian College lautet. Der Prospekt und die Begleitschriften, die wir an interessierte Studenten verschicken, betonen eigens, dass die Schule konfessionell nicht gebunden ist, und das entspricht auch den Tatsachen. Ich bin überzeugt, dass die Kuratoren – einer ist übrigens der große Versicherungsboss Marcus Levine; wenn man nach dem Namen geht, müsste er vermutlich zu Ihren Leuten gehören – das Wort christlich nur allzu gern streichen würden. Aber das brächte zu viele rechtliche Komplikationen mit sich. Und wir haben auch eine ganze Reihe jüdischer Studenten, nicht nur aus der Umgebung, sondern auch aus der Gegend von New York oder New Jersey. Es ist ein College, auf das sie zurückgreifen, wenn sie anderswo keinen Platz finden, und die Eltern könnten davor zurückscheuen, sie in eine Schule zu schicken, die sich betont als christlich bezeichnet. Daher ist es natürlich nützlich, wenn es eine Vorlesung über Jüdisches Denken und Jüdische Philosophie gibt, die von einem waschechten Rabbiner gehalten wird.» Er grinste breit. «Von deren Standpunkt aus sind Sie eine Art Gottesgeschenk.»
    «Sie mögen offenbar keine Juden?», fragte David Small neugierig.
    «Wie kommen Sie denn darauf, Rabbi? Einige meiner besten Freunde sind Juden.» Er lächelte ironisch. «Ich weiß, Sie und Ihresgleichen halten das für die typische Redensart aller Antisemiten, aber ich habe den Verdacht, dass es in gewisser Weise richtig sein könnte. Die Juden sind in der Hinsicht das genaue Gegenteil der Iren. Die einzelnen Juden, die man kennt, sind offen, idealistisch und selbstlos; dennoch ist man überzeugt, dass alle anderen, die man nicht kennt, schlau, habgierig und krass materialistisch sind. Die Iren hinwiederum sollen fröhlich, phantastisch, ritterlich und weltfremd sein, obwohl die Iren, die man kennt, ständig betrunkene, streitsüchtige Schurken sein können, auf deren Wort kein vernünftiger Mensch was gibt.» Er lächelte und zeigte weiße, ebenmäßige Zähne. «Nein, ich halte mich wirklich nicht für antisemitisch, aber ich rede nun mal frei von der Leber weg, und wenn mir ein Gedanke kommt, spreche ich ihn auch gleich aus. Betrachten Sie mich als eine Art advocatus diaboli .»
    «Dann zählen einige meiner besten Freunde zu Ihren Kollegen», sagte der Rabbi.
    Jemand klopfte an der Tür. Hendryx richtete sich mit einem Ruck auf und ging um den Schreibtisch herum, um einen Mann mit einer kurzen Aluminiumleiter hereinzulassen. Es war der Mann von der Telefonfirma.
    «Ich soll hier einen Apparat anschließen», sagte er. «Wo wollen Sie ’n hinhaben? Auf dem Schreibtisch?»
    «Ja.»
    Der Mann lehnte die Leiter gegen das Regal und maß die Wand mit einem Zollstock aus. Dann schob er die Leiter hinter den Drehstuhl und kletterte zum obersten Bord hinauf. Er umfasste die Gipsbüste mit beiden Händen, um sie herunterzuheben, fand sie dann aber zu schwer und schob sie nur ein Stück zur Seite.
    «He! Was machen Sie denn mit meiner Büste, Mann?», rief Hendryx. «Lassen Sie sie da, wo sie ist.»
    «Ich stell sie schon wieder hin, keine Angst», sagte der Mann. «Der Draht muss direkt dahinter durch die Wand, damit er gerade zum Schreibtisch kommt.»
    «Na, dann vergessen Sie’s aber nicht.»
    Der Mann bohrte das Loch und ging dann wieder ins Büro von Miss Hanbury. Hendryx hielt es offenbar für angebracht, sein ärgerliches Aufbrausen zu erklären. «Ich habe das Ding von der ersten Klasse geschenkt bekommen, die ich jemals unterrichtet habe. Gerade kein leichtes Gepäck. Es muss fünfzig, sechzig Pfund wiegen. Trotzdem hab ich es in den letzten zwölf Jahren von einem College zum nächsten mitgeschleppt.»
    Der Rabbi nickte verständnisvoll, obwohl er vermutete, dass der
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