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Am Dienstag sah der Rabbi rot

Am Dienstag sah der Rabbi rot

Titel: Am Dienstag sah der Rabbi rot
Autoren: Harry Kemelman
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Ärger mit dem Mann von der Telefonfirma immer noch von Hendryx’ Enttäuschung herrührte, sein Büro mit ihm teilen zu müssen.
    Es klopfte abermals; diesmal war es Dean Hanbury. «Wir können jetzt zu Präsident Macomber gehen», sagte sie.
     
    Präsident Macomber war ein großer, grauhaariger Mann. Er trug eine Flanellhose, ein Sporthemd und eine Windjacke. Eine Tasche mit Golfschlägern lag in einer Ecke des Büros auf dem Fußboden. «Ich habe gerade neun Löcher gespielt», sagte er zur Erklärung seiner Aufmachung. «Spielen Sie Golf, Rabbi?»
    «Nein, leider nicht.»
    «Schade. Sie haben eine Pfarre oder …»
    «Eine Gemeinde in Barnard’s Crossing.»
    «Ach, natürlich», er nickte lebhaft. «Sie sind aus der Heimatstadt von Dean Hanbury. Na, ich denke, es wird nicht viel anders sein als Pastor in einer Kirche oder Pfarrer einer Gemeinde. Ich meine, Sie haben sicher einen Kirchenvorstand, mit dem Sie sich arrangieren müssen.»
    «Wir haben einen Synagogenvorstand.»
    «Genau das meine ich. Ich meine auch, dass es Ihnen viel leichter fallen würde, mit diesem Vorstand zurechtzukommen, wenn Sie Golf spielten. Auf einem Golfplatz kann man sich so viel leichter verständigen als an einem Konferenztisch im grauen Anzug und mit Schlips und Kragen. Ein Collegepräsident ist heutzutage eine Kombination aus Verkäufer und Public-Relations-Mann; und Sie können es mir glauben: zum Geschäftemachen eignet sich nichts so gut wie ein Golfplatz. Denken Sie mal drüber nach. Auf jeden Fall, Rabbi, freue ich mich außerordentlich, dass Sie bei uns sind.»
    Er streckte die Hand aus, um anzukünden, dass das Treffen beendet sei. «Was hören Sie von Betty?», fragte Dean Hanbury.
    Präsident Macomber lächelte. «Sie hat die erforderliche Aufenthaltszeit beinahe abgeschlossen.» Er schüttelte erheitert den Kopf. «Verzeihen Sie, Rabbi, aber es ist schwer, seinen typischen Berufsjargon abzulegen. Meine Tochter ist in Reno, sie will sich scheiden lassen.»
    «Oh, das tut mir aber Leid», sagte der Rabbi.
    «Das braucht es nicht. So was kommt eben vor. Bei Ihnen gibt es doch Scheidungen, nicht wahr?»
    «Doch. Als Lösung für unglückliche Ehen.»
    «Na, das war es in diesem Fall.» Dann wandte er sich an Dean Hanbury. «Wenn alles so geht, wie es Hoyle vorausgesagt hat, kommt sie nächste Woche wieder als Betty Macomber zu mir zurück.»
    «Ach, das ist schön», sagte Millicent Hanbury.
    «Um es nochmal zu sagen, Rabbi, wir freuen uns, Sie bei uns zu haben. Und wenn es irgendwelche Probleme gibt, dann genieren Sie sich nicht, gleich zu mir zu kommen.»
     
    Rabbi Small ging in sein Büro zurück, um seinen Hut und Mantel zu holen. Da er Professor Hendryx in Zensurenlisten vertieft und wenig mitteilsam fand, wanderte er zum ersten Stock hinunter und wartete auf den Beginn der Professorenkonferenz. Sie sollte um elf Uhr stattfinden. Ab halb elf begannen die Lehrer zu kommen. Der Rabbi vertrieb sich die Zeit mit der Besichtigung von Ehrentafeln, düsteren Ölbildern und vergilbten Porträtfotos früherer Präsidenten und Deans – Frauen in hohen Spitzenkragen, mit ovalen Kneifern, genau so, wie er sich Dean Hanbury vorgestellt hatte. Die Bilder hingen an den Wänden des in einem Rundbau befindlichen Foyers mit Marmorfußboden. Die Lehrer begrüßten sich; gelegentlich trafen ihn neugierige Blicke, aber niemand kam auf ihn zu.
    Dann wurde sein Name gerufen. Er drehte sich um und sah die große Gestalt Roger Fines näher kommen. «Ich dachte doch, das müssten Sie sein», sagte Fine, «aber ich konnte mir nicht vorstellen, warum Sie hier sein sollten.»
    «Ich soll eine Vorlesung halten», sagte der Rabbi, erfreut über das bekannte Gesicht. «Ich unterrichte Jüdisches Denken und Jüdische Philosophie.»
    «Ich bin selber erst seit dem Februar hier», erklärte Fine. «Aber hat im Vorlesungsverzeichnis nicht ein anderer Rabbi gestanden?»
    «Ja, Rabbi Lamden.»
    «Ach, wechseln Sie sich während der Kurse ab?»
    Rabbi Small lachte. «Nein. Er hatte in diesem Jahr keine Zeit, und da haben sie mich gebeten einzuspringen.»
    «Ach, das ist ja prima», sagte der junge Mann. «Wenn es mit dem Stundenplan passt, könnten wir vielleicht zusammen fahren. Haben Sie denn schon ein Büro?»
    «Der Dean hat veranlasst, dass ich bei einem Professor Hendryx untergekommen bin.»
    «Im Ernst?» Er begann zu lachen.
    «Habe ich etwas Komisches gesagt?»
    Statt zu antworten, rief Fine einen jungen, dicklichen Mann, der gerade vorüberging.
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