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Am Anfang war das Ende (German Edition)

Am Anfang war das Ende (German Edition)

Titel: Am Anfang war das Ende (German Edition)
Autoren: Stefan Casta
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Teil Vertreter der Stadt, die den Großteil der Umbaukosten getragen hat. Dann die Lokalpresse, ein paar Kulturmenschen und eine Menge andere Leute, die ich nicht kenne.
    Das Wandgemälde in der neuen Eingangshalle ist fertig, und die meisten bleiben davor stehen. Das Bild stellt die Raumfähre Aniara dar, die gerade auf einem fremden Planeten gelandet ist. Man sieht, wie die ersten Menschen das Raumschiff verlassen und sich umschauen. Der Planet selbst wirkt unwirtlich, öde, kalt. Über sumpfigen Wasserlöchern schweben Nebelwolken. Scharfe Felsblöcke liegen in der Gegend verstreut. Das Gemälde ist so gelungen, dass mir jedes Mal, wenn ich daran vorbeigehe, kalte Schauer über den Rücken laufen.
    Dann klatscht Gun-Helen in die Hände, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.
    »Hierher, liebe Leute!«, ruft sie mit affektierter Stimme.
    Die Menschen strömen ins Freie. Zwei Mädchen aus der Musikklasse fingern nervös an ihren Trompeten. Ich weiß, dass sie eine Begrüßungsfanfare blasen sollen. Danach wird David ein Solo singen. Es ist ein besonderer Tag in der Geschichte des Vogelnests, aber mir geht es mies, und dafür kann ich nichts.
    Als ich mit zwei Schalen voller Nüsse angetrottet komme, trete ich irgendwie schief auf eines der grünen Terrassenbretter, das auch noch etwas lose ist, und hätte die Nüsse fast in die Gegend verteilt.
    »Verdammte Scheißterrasse!«, fauche ich wütend und verpasse dem Brett einen Tritt.
    »Ich bring das gleich in Ordnung«, sagt der Ganser und legt endlich seine oberwichtige Videokamera aus der Hand.
    »Das hier ist mehr ein Holzdeck als eine Terrasse«, bemerkt er, während er das doofe Brett richtig hinlegt.
    »Spielt das eine Rolle?«, frage ich.
    »Yes«, sagt er. »Terrassen hatte man früher. Jetzt hat man Holzdecks. Das hier ist das größte der Stadt und das einzige mit einer Fahnenstange drauf.«
    Der Ganser ist stolz wie ein Gockel. Das Holzdeck war seine Idee, und dass es das größte in der Stadt ist, glaube ich ihm gern, denn es erstreckt sich entlang der gesamten Längsseite des Schulhauses, ist also bestimmt fünfundzwanzig Meter lang und zehn Meter breit und bietet Platz für jede Menge Leute. Der hintere Teil ist überdacht und hat eingebaute Heizstrahler, damit man auch bei kälterem Wetter im Freien sitzen kann. Jetzt gerade scharen sich die meisten Gäste allerdings unter dem Dach, um Schutz vor der erbarmungslosen Sonne zu suchen.
    Ich setze mich zu Dinah und Gabriel.
    »Wie geht’s?«, fragt Dinah.
    »Beschissen«, sage ich.
    Da verlässt sie doch tatsächlich ihren Platz neben Gabriel, um sich neben mich zu setzen und den Arm um mich zu legen.
    »Ich weiß«, sagt sie. »Aber das wird schon wieder, garantiert!«
    Da fange ich natürlich zu heulen an. Mitten in der Einweihung. Gun-Helen blättert gerade in ihren Papieren und wirft mir einen stechenden Wespenblick zu. Sie trägt ein schwarzweißgestreiftes Kostüm, dazu hat sie einen roten Schal elegant um den Hals drapiert. Ich versuche mich zu beherrschen und meine Tränen zu schlucken, und tatsächlich, es klappt.
    »Danke«, murmle ich Dinah zu und schnäuze mich in eine blaugelbe Serviette.
    »Liebe Freunde«, fängt Gun-Helen an, »dies ist ein großer Tag für die Kulturschule Vogelnest, ja, für die ganze Stadt …«
    Und von da an höre ich nicht mehr zu, bin zu sehr mit meinen eigenen aufdringlichen Gedanken beschäftigt. Es ist ein großer Tag für den Planeten Erde, denke ich. Bald werden wir vermodern und zu Erde werden und endlich zu etwas nütze sein. Bald liegst du da, Gun-Helen, ohne deine wichtigen Papiere. Vielleicht liegt Red Bull dann neben dir, ich hab die Blicke, die ihr euch zuwerft, nämlich gesehen. Also könnt ihr gemeinsam verfaulen. Ich muss an Dinahs Äußerung neulich denken, dass sie die Menschen hasst. Allmählich verstehe ich, wie sie das gemeint hat.
    »In diesen unsicheren Zeiten ist es beruhigend zu wissen, dass die Zukunft des Vogelnests gesichert ist«, summt Gun-Helen weiter. »Wenn man sich fragen muss, ob die Welt sich am Rande des Wahnsinns befindet, ist es wichtiger denn je, dass wir die kreativsten Individuen unserer Gesellschaft schützen und fördern. Eines Tages werden wir die Vielfalt der Gefühle, die sich hinter diesen Mauern verbergen, vielleicht besser verstehen.« Sie macht eine Pause, als hätte sie den Faden verloren oder bereute, was sie soeben gesagt hat. Dann fährt sie fort: »Und damit möchte ich den dritten Bauabschnitt der
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