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Am Abend des Mordes - Roman

Am Abend des Mordes - Roman

Titel: Am Abend des Mordes - Roman
Autoren: H kan Nesser
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verklingen, atmete drei Mal tief durch und versuchte, die innere Anspannung von sich abfallen zu lassen. Sie fühlte sich, als wäre ihr Brustkorb geschrumpft. Sie hatte praktisch die ganze Nacht kein Auge zugetan und konnte nicht fassen, dass sie es geschafft hatte.
    Geschafft hatte, Ruhe zu bewahren. Aber vielleicht hatte sie ja größere Kraftreserven in sich als gedacht. Vielleicht hatte sie diese während ihrer Jahre in Hinseberg aufgebaut; wenn es etwas gab, was man in einem Gefängnis lernte, dann zu warten. Nicht übereifrig zu werden, denn wenn man zehn oder mehr Jahre hinter Schloss und Riegel sitzen musste, war es völlig sinnlos, es eilig zu haben.
    Sie ging zum Seeufer hinunter. Streifte die Schuhe ab und watete ins Wasser hinaus.
    Nicht weit, nur ein paar Meter, so dass es ihre Schienbeine halb bedeckte. Der Seegrund war schlammig und uneben, es war keine Stelle, an der man zum Schwimmen hineinging, aber wollte man nur stehen und sich ein wenig abkühlen, ging das ganz ausgezeichnet.
    Und das war es, was sie wollte. Was die Muti-Stimme ihr einzuschärfen versucht hatte: Kühl dich ab und denk nach. Schmiede einen Plan.
    Genau. Es kam darauf an, Ordnung in die Kakophonie zu bringen, die durch ihren Schädel kreiste, und zu entscheiden, wie sie vorgehen sollte. Den Trockner zu stoppen.
    Oder wusste sie es schon? Möglicherweise war es so. Möglicherweise gab es nur einen Ausweg, eine endgültige Lösung, und geplant und abgesteckt werden musste nur der Weg dorthin. Nicht das Ziel.
    Und während sie dort stand und auf das dunkle Wasser hinaussah, kam ihr die gesamte Unterhaltung nochmals in den Sinn, praktisch Wort für Wort, und es war vielleicht nicht weiter verwunderlich, dass sie sich so detailliert an alles erinnern konnte. Die Frage lautete wohl eher, ob es ihr jemals gelingen würde, das Gespräch zu vergessen.
    »Du hast es also nie begriffen?«
    Er sitzt zurückgelehnt an der Hauswand, die Füße auf dem Tisch, ein Bier in der Hand. Es ist zehn Uhr abends, Mücken surren, aber nur in einiger Entfernung, denn sie haben ein paar rußende Räucherspiralen angezündet, um sie fernzuhalten. Er ist ein wenig betrunken, aber nicht sehr.
    Wenn er nicht betrunken ist, spricht er kaum. Andere Frauen würde es sicher stören, dass er so schweigsam ist, sie jedoch nicht. Im Gegenteil, sie denkt, dass es eine Hinterlassenschaft aus dem Gefängnis ist. Sie selbst hat beim Essen zwei Gläser Wein getrunken und ist nun bei ihrem dritten und letzten angelangt.
    Doch nun spricht er tatsächlich, und sie beschließt, seinem Beispiel zu folgen.
    »Was hätte ich begreifen sollen?«
    »Was passiert ist.«
    »Wann?«
    »Ach, nun komm schon, du weißt, wovon ich rede.«
    »Nein, Arnold, ich weiß nicht, wovon du redest.«
    Er trinkt einen Schluck und blickt auf den See hinaus. Scheint zu überlegen, ob er weitersprechen soll oder nicht.
    »Ich habe nie kapiert, ob du es begriffen hast oder nicht.«
    Darauf erwidert sie nichts. Trinkt stattdessen einen Schluck Wein und denkt, dass es trotz allem ein schöner Abend ist. Bei zwei anderen Menschen als ausgerechnet diesen beiden wäre es fast der richtige Zeitpunkt für romantische Momente.
    Ein Gedanke, der augenblicklich stirbt, als er weiterspricht:
    »Harry, verdammt. Ich spreche von Harry. Ich finde, die Zeit ist reif.«
    »Wie meinst du das?«
    »Ich meine zum Beispiel, dass du dich nie bei mir bedankt hast.«
    Bei diesen Worten lacht er auf. Auch das ist ungewöhnlich. Arnold Morinder spricht und lacht. Vielleicht ist er doch betrunkener als üblich. Sie denkt, dass in diesem Augenblick etwas geschieht. Ein Erdrutsch, sie weiß nicht, woher der Gedanke kommt.
    »Für was bedankt?«
    Er macht eine kurze Pause, während er versucht, eine Mücke zu treffen, die es durch den Ruß geschafft hat und auf seinem Bein gelandet ist. Er schlägt zu und verfehlt sie.
    »Dafür, dass ich ihn erschlagen habe.«
    Sie registriert es nicht. Der Erdrutsch kommt, und in ihrem Kopf wird alles schwarz und leer, wie es früher manchmal im Kino passierte, wenn der Film riss.
    »Genau«, sagt er.
    Es vergeht eine Weile. Sie rühren sich nicht. Die Mücken schwirren, über dem See dämmert es.
    »Was hast du gesagt?«, fragt sie schließlich. »Ich habe dich nicht richtig verstanden.«
    Er trinkt einen Schluck Bier und nimmt die Füße vom Tisch.
    »Verdammt«, sagt er. »Ich habe nur gesagt, dass du mir dankbar sein solltest, weil ich damals Harry umgebracht habe.«
    Jetzt hört sie es, und
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