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Alte Liebe: Roman

Alte Liebe: Roman

Titel: Alte Liebe: Roman
Autoren: Elke Heidenreich , Bernd Schroeder
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geschwungen. Und jetzt spielst du Golf und fährst mit dem Mercedes hin.«
    »Beides ist kein Verrat an meinen politischen Idealen.«
    »Ich kenne jedenfalls keinen Menschen von Kultur, der Golf spielt.«
    »Du lieber Himmel!«
    »Keinen.«
    »Bist du sicher, dass Martin nicht –«
    »Walser? Niemals!«
    »Ede sagt, am Bodensee gibt es schöne Golfplätze.«
    »Ede!«
    »Was hast du gegen ihn?«
    »Er ist ein Simpel.«
    »Das ist er nicht.«
    »Er ist kulturlos und –«
    »Mein Gott, er ist Zahnarzt – was verlangst du.«
    »Hat er schon mal ein Buch gelesen?«
    »Ja, zwei. Eins über Implantate und eins über Golf.«
    »Na immerhin.«
    »Ede hat sich in den letzten Jahren ganz schön entwickelt.«
    »Davon hab ich nichts gemerkt.«
    »Vom FDP-Wähler zum Grünen – ist das nichts?«
    »Ja, gut, Respekt, aber –«
    »Ede ist politisch informiert, man kann sich gut mit ihm unterhalten, auch streiten – jedenfalls hat er politisch mehr auf dem Kasten als deine verschlafenen Kollegen. Gut, er hat das flüchtige Pferd nicht gelesen, und er geht auch nicht zu einer Lesung von Walser.«
    »Du ja auch nicht.«
    »Wer weiß, vielleicht doch.«
    »Warum das denn plötzlich?«
    »Ich hätte da so ein paar Fragen an den Herrn Dichter.«
    »Bitte Harry, tu mir das nicht an.«
    »Liebe Lore, vor vierzig Jahren, als ich im Sozialistischen Deutschen Studentenbund war und Ede beim christlichen RCDS , da war Walser Kommunist und hat mit der DKP sympathisiert – wenn er nicht sogar Mitglied war. Und er hielt in Konkret die Fahne der DDR hoch. Heute wählen Ede und ich Grün, spielen zwar Golf, stellen aber die soziale Gerechtigkeit über alles. Und Walser sagt heute, es sei völlig in Ordnung, wenn sie den Siemensmanagern Millionen Schmiergelder bezahlt haben und dass Leute wie Zumwinkel ihr Geld nach Liechtenstein bringen, wenn ihnen der deutsche Staat so tief in die Tasche greifen will.«
    »Wo hast du das denn her?«
    »Das steht in der Zeitung – nicht in seinen Büchern.«
    »Ich wusste das nicht.«
    »Dein Martin mag ein guter Autor sein – politisch ist er eine Katastrophe.«
    »Das muss bei einem Künstler egal sein.«
    »Seltsame Ansicht. Übrigens: morgen nehme ich die letzte Golfstunde, und danach ist mit dem Quatsch finito.«
    »Schön, dass du manchmal auch vernünftig sein kannst.«

5 LORE

    Ich kann mich selbst nicht leiden. Ich weiß, dass Harry recht hat. Nicht immer, aber oft. Im Fall Walser hat er recht. Aber ich liebe nun mal die Autoren. Die Dichter, es sind für mich alles Dichter. Was täten wir denn ohne die, wie sähe diese Welt denn aus ohne Kunst, ohne Kultur? Harry ist immer so nüchtern, er braucht das alles nicht, sagt er. Er braucht sein Weizenbier, seine Zigarre, seine Zeitung, seinen Garten, frische Luft. Ab und zu einen Schweinebraten mit schöner Kruste. Der Mann ist leicht zufriedenzustellen. Ich brauche viel mehr. Meine Seele hat dauernd Hunger, nach Schönheit, nach Musik, nach – nach, ich weiß auch nicht. Hunger eben. Ich komme nie zur Ruhe, kann nie so zufrieden dasitzen wie er. Ich sehe ihn an, gerade jetzt. Da sitzt er, glücklich, versunken, liest den Sportteil der FAZ . Ich lese das Feuilleton und habe das Gefühl, dass alles bergab geht, wie Christa Wolfs Buch heißt: ›Kein Ort. Nirgends.‹ Und ich habe eben die Todesanzeigen gelesen. Verena Berg ist gestorben. Verena. Die wohnte damals in unserer Nähe, und bis heute glaube ich, dass zwischen Harry und ihr was lief. Er hat es immer abgestritten, aber eine Frau spürt so was. Na ja, ist Jahrzehnte her, ich bin auch nicht mehr eifersüchtig, aber damals hat es mich schwer umgetrieben. Verena Berg. Dickes rotes Haar, Lyrikerin, Harry las plötzlich Gedichte, las sie mir vor, mit leuchtenden Augen, ist das nicht toll, sagte er, in wenigen Worten die Quintessenz eines ganzen Lebens auszudrücken? Ja, toll. Ausgerechnet Harry. Dem ich Gedichte hinlegen oder vorlesen konnte bis zum Gehtnichtmehr, er hat nicht hingesehen, nicht hingehört. Aber plötzlich, Verena Berg, Quintessenz. ›Ich, ohne Gepäck, im freien Fall …‹ oder so ähnlich.
    Jetzt ist sie tot. Wir sind dran, wir sind die Generation, die dran ist. Ich überlege, ob ich es ihm sagen soll oder nicht. Er überblättert das bestimmt. Ich lese ja immer die Todesanzeigen, er nie. Neulich starb ein Mann, der exakt am selben Tag geboren worden war wie ich. Ich hatte den ganzen Tag das Gefühl, das will mir etwas sagen. Ich bin auch bald dran.
    Aber ich bin nur müde,
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