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Gefaehrliche Tiefen

Gefaehrliche Tiefen

Titel: Gefaehrliche Tiefen
Autoren: Pamela S. Beason
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Prolog
    Sam Westin starrte aus dem Fenster auf den nicht enden wollenden kalten Regen, der sich seinen Weg durch die zerzausten Äste der Douglasfichten bahnte. Laut Kalender war vor einer Woche der kürzeste Tag des Jahres gewesen, aber noch hatte man nicht den Eindruck, dass es länger hell blieb. Ihr winziges Büro fühlte sich im Dezember immer wie eine dunkle, feuchte Höhle an. Und irgendwie – obwohl sie sich immer schwor, das nicht zuzulassen – führten ihr die Feiertage vor Augen, was sie vermisste: Familie. Firmenfeiern. Bonuszahlungen zum Jahresende. Sie beneidete ihren Mitbewohner Blake, der sein Weihnachtsgeld fröhlich auf den Kopf gehauen hatte, für Geschenke für seine dreizehnjährige Tochter und für einen Leihsmoking für die schicke Silvesterparty, die seine Firma in New York veranstaltete.
    In der Regel war Sam ganz zufrieden mit ihrem Freiberuflerdasein. Der Dezember war einfach ein ruhiger, langweiliger Monat, in dem sie auch einmal Zeit für andere Dinge hatte. Aber dieses Jahr schienen sich die Rezession und ihr jahreszeitlich bedingter Frust gegen sie verschworen zu haben, und so waren ihre Feiertage noch trostloser als sonst. Auf ihrem Schreibtisch lagen nur sehr wenige Aufträge, und Gesellschaft, die sie hätte aufmuntern können, hatte sie auch nicht. Vor einer Woche, an Heiligabend, hatte sie ihr Freund Chase über Nacht besucht. Jetzt absolvierte er an irgendeinem geheimen Ort eine verlängerte Trainingseinheit. Sie war sich nicht sicher, ob sie wirklich im Guten auseinandergegangen waren, aber vor ihrem nächsten Treffen Ende Februar würden sich die Dinge nicht klären lassen. Und so würde sie auch dieses Jahr an Silvester keinen Mann haben, den sie um Mitternacht küssen konnte.
    Sam wandte sich wieder ihrem Computer zu. Sie arbeitete sich gerade durch den grauenhaften Roman ihres Automechanikers Ralph, der ihr im Gegenzug die Bremsbeläge ihres Civic erneuert hatte. Es handelte sich um eine schreckliche Geschichte über die Army, mit zu viel Gewalt und zu wenig Handlung. Ralph hatte angedeutet, er wolle den Roman im Selbstverlag herausgeben. Sam hegte den Verdacht, dass er sich zum Teil seine eigenen Erfahrungen von der Seele geschrieben hatte, also musste sie vorsichtig sein mit ihrer Kritik. Verdammt, was sollte sie ihm bloß sagen? Wieso hatte sie sich überhaupt in diese Situation bringen lassen?
    Die Antwort lautete: aus Verzweiflung. Für Januar standen gerade einmal drei kurze Artikel in ihrem Auftragsbuch. Sie hatte einigen gemeinnützigen Organisationen in ihrer Gegend angeboten, kostenlos Artikel für sie zu schreiben, in der Hoffnung, damit einen Fuß in die Tür zu bekommen für weitere Aufträge, die ihr dann hoffentlich auch Geld einbrachten. Leider ließen sich von ehrenamtlicher Arbeit keine Rechnungen bezahlen, und deren Stapel wurde rasch immer größer. Ein Arbeitnehmer hatte nach der Kündigung Anspruch auf Arbeitslosenunterstützung; die arbeitslosen Selbstständigen tauchten dagegen nicht einmal in der Statistik auf.
    Als ihr Festnetztelefon klingelte, hob sie ab, ohne auf die Nummer des Anrufers im Display zu schauen. Sie befand sich an einem Punkt, wo ihr jegliche Unterbrechung willkommen war. »Westin.«
    Â»Hier spricht Tad Wyatt von der Key Corporation.«
    Key Corporation? Damit hatte sie nicht gerechnet. Vor etwa zehn Jahren hatte sie im Rahmen eines Enzyklopädieprojekts, das nach ein paar Monaten wieder eingestampft worden war, kurzzeitig für Key gearbeitet. Seitdem hatte sie von Key nichts mehr gehört. Und der Name Tad Wyatt sagte ihr gar nichts.
    Â»Summer«, hob er an. Dass er sie mit ihrem offiziellen und nicht mit ihrem Spitznamen anredete, zeigte, wie wenig er über sie wusste. »Die Rede, die Sie letztes Jahr für
The Edge
gehalten haben, hat uns beeindruckt. Das war große Klasse.«
    Â»Die habe ich nicht für
The Edge
gehalten.
The Edge
hat meinen Auftritt bei der Wildlife-Konferenz nur gesponsert.« Lief dieses verdammte Video etwa immer noch auf YouTube?
    Â»Wie auch immer«, erwiderte Wyatt. »Die Geschichte davor, die mit dem Puma, war auch nicht schlecht. Wir haben großen Respekt für Ihre Arbeit. Wir würden uns freuen, wenn Sie an unserer Expedition zu den Galapagosinseln teilnehmen würden.«
    Statt des regennassen Walds vor ihrem Fenster sah Sam auf einmal einen tropischen Strand vor sich.
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