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Alte Liebe: Roman

Alte Liebe: Roman

Titel: Alte Liebe: Roman
Autoren: Elke Heidenreich , Bernd Schroeder
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fortwährend mein Befinden zu belauern. Ich saß im Wohnzimmer und sie ging im Haus herum. Sie sammelte Sachen zusammen, die sie schon mal mitnehmen wollte, auf die ich sicher keinen Wert mehr legte, Erinnerungsstücke, wie sie sagte.
    Später – ich hoffte so sehr, sie würde endlich gehen – setzte sie sich zu mir und redete auf mich ein, wie auf einen Kranken. Sie habe sich, sagte sie, Folgendes überlegt: Wir könnten das Haus verkaufen – schon das Wir missfiel mir –, ich könnte zu ihnen ziehen, Leipzig sei schließlich eine sehr schöne Stadt voller Kultur und Leben, sie würden mir das bisher brachliegende Pförtnerhaus ausbauen, dort hätte ich genügend Platz und könnte mich um den Park kümmern, sie habe das mit Frank alles schon besprochen, er sei damit voll einverstanden – ihr Schwiegervater natürlich auch.
    Ich sah sie an, und ich wusste, dass sie alles, was ich jetzt sagte, als Undankbarkeit auslegen würde.
    Nein, sagte ich, ich habe ein Haus, ich verkaufe es nicht, und ich brauche kein Pförtnerhaus. Ich habe einen wunderbaren Garten, und ich brauche keinen Park, und das hier ist auch eine schöne Stadt voller Kultur und Leben. Und diese Dinge da sind auch für mich Erinnerungsstücke, die lässt du bitte da.
    Sie sagte nichts, stand auf, packte ihre Sachen, um zu gehen. Selten war mir diese Tochter so weit entfernt wie in diesem Moment. An der Tür gab es noch eine halbherzige Umarmung. Du tust dir doch nichts an, Vater? Nein.
    Dann war ich endlich mit meiner Traurigkeit, mit Dir, meine Lore, allein. Nein, ich werde mir nichts antun. Ich werde hier weiterleben in unserem Heim, mit all den schönen Dingen, die wir über fast vier Jahrzehnte zusammengetragen haben. Sie werden mir der Trost sein, denn sie werden mir immer wieder unsere Geschichte erzählen. Zeit, Schluss zu machen, wird sein, wenn mir ein Altenheim oder das Pförtnerhaus droht. ›Zeit zu leben, Zeit zu sterben‹, ist das nicht der Titel eines Buches, von dem Du mal erzählt hast? Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht hätte ich Gloria das erklären sollen. Sicher meinte sie das gut, was sie sich ausgedacht hat. Aber ich konnte ihr ja noch nie etwas erklären.
    Jetzt sitze ich an Deinem kleinen Jugendstil-Sekretär, den ich Dir zur Silberhochzeit geschenkt habe. Da stehen Deine Lieblingsbücher. Du hast ihnen einen besonderen Platz gegeben, Du wolltest sie ganz nahe, griffbereit bei Dir haben. Sie waren Dir so wichtig. Wie oft hast Du aus ihnen erzählt oder vorgelesen.
    Marlen Haushofer, ›Die Wand‹. Das habe ich damals auch gelesen. Die anderen nicht. Christa Wolf, ›Kindheitsmuster‹, Katherine Mansfield, ›Erzählungen‹, Per Olov Enquist, ›Kapitän Nemos Bibliothek‹. Ach und ›Das Fischkonzert‹ von Halldór Laxness. Daraus hast Du immer vorgelesen, als wir in Island irgendwo auf der Wiese saßen und Picknick machten. Deine Bücher, Lore. Ich werde sie lesen, um Dir nahe zu sein, um zu ergründen und zu verstehen, warum es Deine liebsten Bücher waren.
    Über dem Sekretär hängt ein Foto, von Dir, wie es immer deine Art war, schief an die Wand gepinnt. Ich habe es vor ein paar Wochen gemacht. Du mit grüner Schürze und Spaten als Gärtnerin posierend. Du siehst so schön und glücklich aus und strahlst mich an. ›Die Gärtnerin aus Liebe‹ hast Du mit Filzschreiber daruntergeschrieben.
    Ach Lore, Du fehlst mir. Warum bist Du jetzt nicht da und hast das letzte Wort. Das wolltest Du doch immer haben.
    Sag doch was.

Über die Autoren

    Elke Heidenreich , 1943 geboren, lebt in Köln. Sie hat mehrere Kinderbücher geschrieben (unter anderem »Nero Corleone«, 1995), hat ihre Kolumnen in fünf Bänden gesammelt, ist Literaturkritikerin und hat zwei Bücher mit Geschichten veröffentlicht: »Kolonien der Liebe« (1992) und »Der Welt den Rücken« (2001). Für den vorliegenden Band hat sie folgende Geschichten geschrieben: Rudernde Hunde, Frau Janowiak, Frau Janowiak, ich kann Sie sehen!, Nurejews Hund, Trachtenmode, Heute morgen im Südpark, Liebesgeschichte, Das Geheimnis der chinesischen Wäscherei, Norwegian Wood oder: Harald , wo der Pfeffer wächst, Der Mantel der Liebe und Matilda .

    Bernd Schroeder , 1944 auf der Flucht in Aussig geboren, ist in Bayern groß geworden und lebt seit vielen Jahren ebenfalls in Köln. Er ist Autor und Regisseur zahlreicher Hör- und Fernsehspiele und hat die Romane »Versunkenes Land« (1993), »Unter Brüdern« (1995) und »Die Madonnina« (2001) veröffentlicht. Im
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