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Alte Liebe: Roman

Alte Liebe: Roman

Titel: Alte Liebe: Roman
Autoren: Elke Heidenreich , Bernd Schroeder
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zu sein und ein Gesicht zu machen, das niemand kommentiert. Zu schweigen, ohne gefragt zu werden: Was hast du? Ich werde das machen, ich werde das Gerümpelzimmer …
    Harry wird wach.

    *

    »Du hast geschnarcht, Harry.«
    »Ich hab doch gar nicht geschlafen, nur gedöst.«
    »Du hast tief und fest geschlafen und geschnarcht.«
    »Na und. Ich hab mich gestärkt für nachher.«
    »Ich hab kein Auge zugetan.«
    »Worüber grübelst du denn? Jetzt noch die rauschende Ballnacht und dann ist es überstanden.«
    »Nix, morgen noch ein Frühstück im Familienkreise.«
    »Großer Gott, müssen wir da hin?«
    »Wir sind ja wohl die Familie.«
    »Ich hoffe, ich raste nicht doch noch aus.«
    »Tu’s nicht, Gloria zuliebe.«
    »Dir zuliebe.«
    »Harry, mir ist so elend. Ich bin ganz matt. Ich fühl mich total kaputt.«
    »Zieh heute bequemere Schuhe an.«
    »Das ist alles, was dir dazu einfällt?«
    »Mein Gott, was soll mir einfallen, ich säße jetzt auch lieber mit einem Weizenbier im Garten. Und einer Zigarre. Meinst du, man darf hier rauchen?«
    »Im Zimmer bestimmt nicht, vielleicht unten an der Bar.«
    »Scheißhotel.«
    »Wir haben sowieso keine Zeit mehr für eine Zigarre. Wir müssen uns langsam mal fertig machen.«
    »Ich bin ruckzuck fertig. Kaltes Wasser ins Gesicht, Hemd, Anzug, Schuhe, fertig.«
    »Krawatte?«
    »Krawatte. Die weinrote, die ich mir bei Ede geliehen hab.«
    »Heute Morgen in der Kirche hast du schön ausgesehen.«
    »Warum hast du eigentlich so geheult? Die ganze Zeit hast du geheult. So romantisch war’s doch nun nicht.«
    »Ich hab nicht darüber geheult.«
    »Worüber dann?«
    »Über das Leben. Über alles, über – da ist irgendeine Tür in mir aufgegangen und dahinter war eben lauter Wasser.«
    »Schön gesagt. Die perfekte Brautmutter, total in Tränen.«
    »Ich geh unter die Dusche. Ach nein, lieber nicht, dann sitzen nachher die Haare nicht. Ich dusche danach.«
    »Ich auch. Fang du an. Was ziehst du an?«
    »Das Seidene mit den Blumen.«
    »Und bequeme Schuhe bitte.«
    »Dazu passen keine bequemen Schuhe, dazu muss ich Pumps anziehen.«
    »Dann hast du wieder den ganzen Abend Schmerzen.«
    »Ich hoffe doch, man sitzt am Tisch und ich kann die Schuhe ausziehen.«
    »Warum ziehst du sie erst an, wenn du sie dann doch ausziehen willst.«
    »Das verstehst du nicht.«
    »Ich versteh vieles nicht derzeit, Lore.«
    »Zum Beispiel?«
    »Dich. Deine Rührseligkeit. Deine Zerrissenheit. Dein ewiges Auf und Ab. Was ist eigentlich los? Ist das alles wegen dieser verfluchten albernen Hochzeit?«
    »Ich weiß es nicht. Lass mich einfach in Ruhe. Augen zu und durch.«
    »Augen zu und durch.«

32 HARRY

    Niemand kann mir weismachen, dass Gloria wirklich glücklich ist. Sie hat gezittert, als ich sie am Arm in die Kirche geführt habe. Ihre Tränen waren genauso wenig Tränen der Rührung, meine ich, wie die von Lore. Und Glorias Danke, Vater, dass du gekommen bist, sagte mir viel. Sie sagte Vater und nicht Harry wie all die Jahre. Und sie sagte du, nicht ihr. Sie weiß also, dass vornehmlich ich es bin, der diese Gesellschaft nicht leiden kann, dass ich in meiner Ablehnung radikaler und konsequenter bin als Lore. Glorias Blick hatte etwas Flehendes: bitte mach gute Miene zu diesem Spiel, bitte lass mich tun, was ich tun muss, bitte versteh mich. Ich glaube, Gloria war mit ihrem bisherigen Leben verzweifelter, als wir wahrgenommen haben. Zwei gescheiterte Ehen, zahlreiche unglückliche Männergeschichten, die Überforderung der Alleinerziehenden mit Kind und Beruf, Geldsorgen. Und da kommt einer, redet ihr vielleicht anfangs von Liebe, hat Geld, bietet ihr das Paradies, ein Raus aus allen Sorgen, um den Preis der Anpassung an eine Gesellschaft, die die ihre bisher nicht war. Gloria ist, abgesehen von ein paar frühen sympathischen Protesthaltungen, nicht politisch, kein kritisch denkender Mensch. Meine Vorbehalte gegenüber diesem Milieu sind gar nicht die ihren, meine Kritik kann sie gar nicht teilen. Genau betrachtet steht es uns auch nicht zu, zu kritisieren und zu bewerten, was sie macht. Es hat uns nicht gefallen, dass sie mit einem Freak nach Indien ging, ihr ganzes bisheriges Leben hat irgendwie unserem kritischen Blick nicht standgehalten. Wenn sie jetzt so leben will, vielleicht weil sie einmal im Leben etwas richtig und gut machen will, dann sollten wir sie doch lassen, ihr das Gefühl geben, dass wir sie verstehen. Wenigstens das. Da bricht doch unserer sonstigen Haltung kein Zacken aus
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