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Alte Liebe: Roman

Alte Liebe: Roman

Titel: Alte Liebe: Roman
Autoren: Elke Heidenreich , Bernd Schroeder
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wieder politische und wirtschaftliche Zusammenhänge erklären muss, weil die in deinen Feuilletons nicht vorkommen.
    Aber noch schlimmer, als Lore mit Frau Metzger zu vergleichen, ist es, wenn man ihr sagt, dass sie nach ihrer Mutter kommt. Da rastet sie aus. Dabei wird sie ihr nicht nur äußerlich immer ähnlicher, womit ich gar kein Problem habe, denn ich mag – ich mochte, muss man ja jetzt eigentlich sagen – Leni immer gern. Natürlich verstehe ich, dass es für Lore ein großer und langwieriger Kampf war, sich als einzige Tochter von dieser Mutter und ihrem Klammergriff zu lösen, aber die gute Frau hatte Witz, Humor und Kraft. Ein Kraftwerk auf zwei Beinen, wie Lore immer sagt. Leni war voller Widersprüche. Einerseits konservativ, andererseits antiklerikal. Mit achtzig wollte sie nach Rom gehen und den Papst erschießen. Zeig mir, wie man das macht, sagte sie, ich bin eine alte verwirrte Frau, ich krieg sicher diesen Beklopptenparagraphen.
    Willy Brandt war ihr Idol, aber die Ausländer hätte sie gerne hinter Schloss und Riegel gesehen. Sie dachte links, plapperte aber allen reaktionären Kram nach, den sie im Seniorenclub und auf Kaffeefahrten hörte. Sie war unglaublich geizig, kaufte aber unmögliches Zeug, das sie nie brauchte, nur weil es billig war. An den Großkonzernen hielt sie sich schadlos, wie sie es nannte, indem sie in den Kaufhäusern klaute. Sie klaute alles, alles, was sie nicht brauchte, und wir auch nicht. Es war eindeutig krank. Als man sie erwischte, gab sie Lores Telefonnummer und Adresse in der Bibliothek an. Dort tauchte die Polizei auf. Peinlich für Lore. In Lenis Wohnung fanden die Fahnder nichts. Sie hatte das Diebesgut bereits bei uns in der Garage versteckt. Deostifte, Schokoriegel, getrocknete chinesische Morcheln, Zahnseide, Brillenputztücher, Konfekt in Massen. Wir verschenkten die Sachen großzügig an Freunde und Bekannte. Als man Leni tatsächlich laufenließ, weil man ihr temporäre geistige Verwirrung zugestand, wollte sie das Diebesgut wieder abholen. Es war kaum noch was da, wir hatten die Sachen benutzt, vieles hatte ja ein Verfallsdatum. Gott, was seid ihr fies, eine arme alte Frau so zu beklauen, sagte sie damals. Ich habe mich kaputtgelacht.
    Leni. Jetzt liegt sie da, ist niemand mehr, kann nicht leben und nicht sterben. Ach, Lore, wenn du wüsstest, wie ähnlich du ihr oft bist und wie positiv ich das sehe. Okay, du klaust nicht. Aber sonst – immer tapfer, immer zäh und immer vorwärts. Ach, meine Lore.

    *

    »Was stehst du so lange vorm Spiegel, Lore, was siehst du da?«
    »Ist dir schon mal aufgefallen, dass ich jetzt mit dem Altwerden Mutters Gesicht und Figur bekomme?«
    »Nein, das ist mir nicht aufgefallen.«
    »Wirklich nicht?«
    »Nein.«
    »Weil du mich eben gar nicht mehr anschaust.«
    »Was soll denn das jetzt?«
    »Würdest du mich anschauen, würdest du es sehen.«
    »Also Lore.«
    »Dir ist es eben egal, wie ich aussehe. Und das war schon immer so. Ich kann mich an kein Kompliment über mein Aussehen von dir erinnern.«
    »Das ist jetzt nicht dein Ernst.«
    »Wir waren ein Jahr verheiratet, machten Urlaub am Lago Maggiore. In Luino auf dem Markt hatte ich mir ein nettes Kleid gekauft und auf der nächsten Restauranttoilette angezogen.«
    »Ich erinnere mich an das Kleid – grün, gelb, verschiedene Grün.«
    »Na immerhin. Ja, es war grün und gelb. Und wir gingen an der Seepromenade spazieren, noch ziemlich verliebt und glücklich. Und ich lief ein Stück vor und schlenderte etwas aufreizend auf dich zu. Und ich fragte dich, was du jetzt denkst, wenn ich so auf dich zukomme. Und weißt du, was du gesagt hast?«
    »Nein, ich weiß es nicht. Muss ich es noch wissen?«
    »Du sagtest, ach, da kommt ja meine Lore. Ja, da lachst du.«
    »Ja, warum nicht? Das ist doch lustig.«
    »Für mich war das damals ganz ernüchternd. Ich dachte für einen Moment, ich verlasse ihn, ich gehe, das ist nicht der Mann fürs Leben. Ja, Harry, ich wollte damals wirklich gehen – und du hattest nichts davon gemerkt.«
    »Gut, dass du es nicht getan hast.«
    »Na ja, darüber wäre noch zu diskutieren.«
    »Ach Lore.«
    »Ich hab es im Spiegel gesehen, zum ersten Mal, ich bekomme Mutters Bauerngesicht.«
    »Ich mochte das bei ihr und ich mag es bei dir.«
    »Ihre Hände hab ich auch. Breite westfälische Bauernhände.«
    »Du hast ihre schönen Beine.«
    »Oh, Harry, ein Kompliment!«
    »Und du hast ihren Witz.«
    »Sag mir auch das Negative, das ich von ihr
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