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Alte Feinde Thriller

Titel: Alte Feinde Thriller
Autoren: Duane Louis
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kenne sie nicht, und sie ignoriert mich ebenfalls.
     
    Ich suche dieses andere, fremde Leben ab und halte Ausschau nach Grandpa Pop.
    Und auf einmal - natürlich, denn wenn man tot ist, passiert alles auf einmal - schaffe ich es, die Einzelheiten seiner alternativen Lebensgeschichte abzurufen.
    In dieser Version hat es den Anschein, als hätte ich Grandpa Henry nie getroffen.
    Ich kann zurückgehen und ihm dabei zusehen, wie er Großmutter verprügelt. Beide trinken zu viel. Sie streiten sich häufig. Sie haben beide jung geheiratet, Großvater nur ein Jahr nach dem Militärdienst, und sie sind immer noch dabei, den anderen richtig kennenzulernen. Dann ist sie schwanger, mit meinem Vater. Jetzt ist Grandpa jung verheiratet und hat ein Kind an der Backe, auf das er nicht sonderlich scharf war, und das macht ihn wütend. Und auch wenn das dumm ist, lässt er es an ihr aus. Er arbeitet viel. Er behauptet, um Geld für die Familie zu verdienen, doch eigentlich um ihr aus dem Weg zu gehen.
    In den späten Fünfzigern, als mein Vater zehn Jahre alt ist, gerät Grandpa Henry in eine Kneipenschlägerei in einem Laden unter der Hochbahn in Frankford. Der Typ taucht wie aus dem Nichts auf und fängt an, auf Großvater einzustechen. Der Angreifer heißt Victor
D’Arrazzio. Später ändert er seinen Namen in »Vic Derace«. Laut dem Vorstrafenregister des FBI mag D’Arrazzio billigen, süßen Wein, gegrillte Rippchen und Prostituierte.
    Insgesamt wird auf Grandpa Henry siebzehnmal eingestochen, in Brust und Hals. Er stirbt noch am Tatort. Ein Motiv scheint es nicht zu geben.
    Meine Großmutter erinnert sich nicht mehr an die Prügel. Sie vermisst ihren Ehemann. Sie trauert dem gemeinsamen Leben nach, das sie hätten haben können.
    Ein paar Jahre später bringt D’Arrazzio sich im Staatsgefängnis um.
    Und ich wachse auf, ohne Grandpa Henry je zu begegnen.
     
    In diesem anderen Leben gibt es immer noch den Schlitzer von Frankford, der Ende der 1980er unter der Hochbahn mehrere Frauen tötet.
    Nur, dass jemand anders dahintersteckt.
     
    Als ich geboren werde, ist Grandpa Henry schon lange tot. Im Augenblick erinnere ich mich an ihn und auch wieder nicht. Ich trage seinen Namen. Mein Vater hat den Namen eines Musikers in Erwägung gezogen, doch meine Mutter schlägt Henry vor. Nach seinem Vater. Den er kaum gekannt hat.
    Mein Name ist Henry Wadcheck.
    Ich erinnere mich an ihn und auch wieder nicht.
    Ich möchte mich an ihn erinnern.

    Ich muss mich an ihn erinnern.
    Doch ich schätze, ich darf mich nicht sehr lange an ihn erinnern.
    Weil mein Tod fast vorbei ist, und in meinem ursprünglichen Leben wird der vierundachtzigjährige Körper meines Großvaters gleich seinen Geist aufgeben und seinen letzten Atemzug tun. Alles explodiert aus diesem Moment heraus. Ich sehe nur noch unscharf. Aber ich weiß, was als Nächstes passiert, denn wenn man tot ist, passiert alles gleichzeitig. Das heißt nicht, dass mein Leben blitzartig auf mich einstürmt - wie in jener Klischeevorstellung -, dass eine rasche Abfolge von Bildern an mir vorüberzieht. Nein, ich durchlebe jede Sekunde noch einmal. Ich wiederhole jeden Atemzug. Ich spüre jede Verletzung, koste jeden Kuss aus. Aber ich weiß immer noch, dass alles, was passiert, passiert ist und passieren wird.
    Das wusste ich alles, seit jenem Moment, in dem ich angefangen habe, euch diese Geschichte zu erzählen.
    Ich habe das alles gesehen, weil ich tot war.
    Doch jetzt lebe ich.
     
    Darum werde ich gleich alles vergessen.
    Ich habe euch diese Geschichte erzählt, weil ich mich unbedingt daran erinnern möchte, auch wenn ich weiß, dass das nicht möglich ist. Man erzählt Geschichten, weil man möchte, dass ein Teil von einem weiterlebt. Doch ich weiß, dass das nicht möglich ist.
    Ich weiß das, denn jetzt werde ich aufwachen.

     
    Als ich aufwache, starrt Meghan, auf einen Ellbogen gestützt, auf mich herab, die hübschen Augen weit geöffnet. Ich strecke die Hand aus und berühre ihr Gesicht - ihr ebenmäßiges, wunderschönes Gesicht. Selbst nach der Geburt zweier Kinder und nach zwölf Jahren Ehe sieht sie wie immer hinreißend aus. Ich liebe es, ihre weiche Haut unter meinen Fingern zu spüren.
    Ich habe einen ganz schönen Kater.
    Die sengenden Strahlen der Sonne knallen durch unsere Fenster. Es ist ein schwüler Sonntagmorgen - der erste Tag des Sommers. Ich reibe mir den Schlaf aus den Augen und erzähle ihr, ich hätte geträumt, einen dieser schlechten, fiebrigen Träume,
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