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Alta moda

Alta moda

Titel: Alta moda
Autoren: Magdalen Nabb
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Was sollte ich nur machen, wenn alle Fügsamkeit nichts nützte und die mich trotzdem mißhandelten? Als ich mich hingelegt hatte, kroch auch er ins Zelt und hockte sich neben mich.
    »Zieh die Stiefel aus.« Ich gehorchte, was auf so engem Raum alles andere als einfach war. »Die linke Hand her!« Ich spürte, wie die Kette strammgezogen wurde, und hörte ein zweites Vorhängeschloß einschnappen: Handgelenk und Fuß waren aneinandergekettet. Der Metzger!
    Ich haßte ihn, weil er mich zu Unrecht getreten und weil er die Kette unnötig festgezogen hatte, so daß sie mir schmerzhaft ins Handgelenk schnitt. Gleichwohl hoffte ich inständig darauf, daß er mich von den brennenden Augenpflastern befreien würde – vergebens. Aber warum? Wenn wir uns an einem so gottverlassenen Ort befanden, daß sie bedenkenlos Gewehrsalven abfeuern konnten, wie hätte ich ihnen da entkommen können? Ich lag angekettet und völlig orientierungslos in einem Zelt, und meine Bewacher würden mit Sicherheit Gesichtsmasken tragen. Als könne er meine Gedanken lesen – wie oft hatte er so was wohl schon gemacht? –, flüsterte er: »Die Pflaster kannst du selber runter tun.«
    Im Grunde war ich froh, daß er mich nicht berühren würde. Mit angehaltenem Atem, in banger Sorge um meine Brauen und Wimpern, löste ich erst den langen Klebestreifen und hob dann eins der Pflaster an einer Ecke an. Ich wollte versuchen, es mit einem Ruck und möglichst hautnah abzuziehen. Schmerz ist eine merkwürdig subjektive Empfindung. Frauen quälen sich zum Beispiel freiwillig damit, daß sie ihre Beine mit Wachs enthaaren, ganz zu schweigen von den Qualen, die wir bei der Geburt eines Kindes ertragen, aber ausschlaggebend ist eben immer die Ursache des Schmerzes. Das gleiche Maß an Leiden, das wir uns selbst aufbürden, wäre, als Folter oder Strafe verhängt, nicht auszuhalten. Als ich die abgerissenen Pflaster in der Hand hielt und meine Brauenund Wimpernhärchen darin kleben sah, begriff ich, daß es einer ganz besonderen Schmerzbewältigung bedurfte, wenn ich das hier überleben wollte.
    Wie ich erwartet hatte, trug der Metzger eine schwarze Strumpfmaske. Er war von so massiger Statur, daß er das kleine Zelt fast allein ausfüllte. »Alles, was du brauchst«, flüsterte er, »steht hinter deinem Kopf.« Dann warf er meine Stiefel aus dem Zelt, kroch hinterher und zog den Reißverschluß zu.
    Allein geblieben, richtete ich mich vorsichtig und lautlos auf. Das hatte man mir zwar verboten, aber sobald meine Entführer außer Sicht waren, schwanden Furcht und Unterwürfigkeit. Ich tastete nach meiner Uhr, doch die hatte man mir ja schon abgenommen, als ich bewußtlos im Auto lag. Das Zelt war so niedrig und eng, daß ich nur ganz in der Mitte aufrecht sitzen konnte. Statt einer Matratze lagen auf dem nackten Plastikboden ein Schlafsack und ein Kissen in einem verwaschenen Blümchenbezug. Ich hob es auf und roch daran. Meine Nase war von jeher hyperempfindlich. Schon als ich noch klein war, kam es vor, daß ich vom Spielen heimkam und meine Mutter fragte: »Mommy, warum riecht es bei Debbie zu Hause so komisch?« »Wie denn?« »Weiß nicht… aber ich mag’s nicht.« »Jedes Haus hat seinen eigenen Geruch.«
    »Aber unseres riecht nicht.« »O doch, du bist nur so dran gewöhnt, daß es dir nicht mehr auffällt.« Bei Patsy daheim duftete es anheimelnd nach Backwerk und Bügelwäsche. Ich fand’s himmlisch dort.
    Das Kissen roch ein bißchen muffig, aber nicht abstoßend, wie ich erleichtert feststellte, denn ich würde ja darauf schlafen müssen. Hinter mir waren, wie der Metzger gesagt hatte, eine Menge Vorräte gestapelt: eine Pakkung mit acht Rollen Toilettenpapier, eine mit zwölf Plastikwasserflaschen, ein Päckchen dünner, billiger Papierservietten. Rechts neben mir fand ich eine Bettpfanne und eine bereits aufgerissene Rolle Klopapier.
    Plötzliche Geräusche von draußen ließen mich den Atem anhalten. Es hörte sich an, als ob sie Holz hackten. Dann ein geschäftiges Hin und Her, ein Rascheln und Schleifen. Plötzlich knackte und knisterte es direkt über mir, und ich begriff, daß sie mein Zelt zur Tarnung mit Reisig abdeckten. Eine Vorsichtsmaßnahme, die sicher auch bei ihrer eigenen Unterkunft erforderlich war. Daraus, daß die Geräusche immer in nächster Nähe blieben, schloß ich, daß wir uns auf einer ganz kleinen Lichtung befanden. Schritte näherten sich dem Zelteingang, und ich legte mich hastig wieder hin. Der Reißverschluß
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