Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Alta moda

Alta moda

Titel: Alta moda
Autoren: Magdalen Nabb
Vom Netzwerk:
ging hoch.
    »Rutsch mal vor.« Eine Hand schob ein Blechtablett herein, auf dem neben einer Scheibe Brot der Hühnerschlegel von gestern lag, aus dem zwei, drei Happen herausgebissen waren. Rucksack und Schießprügel hatten ihn mitgebracht! Es klingt unglaublich, ich weiß, aber schlagartig regte sich mein Gewissen. Das reiche Luder! Selbst wenn ich nicht vegetarisch leben würde, hätte ich einen angenagten Hühnerschlegel vom Vortag daheim bedenkenlos weggeworfen. Bestenfalls hätte ich früher, als wir noch sehr sparen mußten, eine Suppe oder ein Risotto für uns drei daraus zubereitet.
    Ungeachtet meiner Scham und obwohl ich mich zwingen wollte, das Fleisch hinunterzuwürgen, um bei Kräften zu bleiben, brachte ich es einfach nicht fertig. Oder vielmehr mein Magen sperrte sich mit Krämpfen und aufsteigenden Luftblasen. Aus Angst vor Strafe reagierte ich schließlich wie ein Kind, löste den Großteil des glibbrig kalten Hühnerfleischs vom Knochen, wickelte es in Toilettenpapier und versuchte, es in dem winzigen Zelt zu verstecken. Dann nahm ich das trockene Brot, eine dicke Scheibe, die ich langsam, Bissen für Bissen, mit kleinen Schlucken Wasser im Mund aufweichte. Sehr nahrhaft war das nicht, aber ich wußte mir nicht anders zu helfen.
    Eine Hand zog das Tablett ein Stück weit aus dem Zelt, und eine Stimme flüsterte: »Tunk eine Serviette ins Wasser, wisch dir damit Mund und Finger sauber und wirf sie dann raus.« Ich gehorchte und nutzte die Gelegenheit, um mir den Dorn aus dem Handballen zu lutschen und die ärgsten Schürfwunden zu reinigen. Das Wasser war angenehm kühl und schmerzlindernd. Erst als das Tablett verschwunden war, fiel mir ein, daß ich das abgelöste Fleisch vielleicht unbemerkt in ein paar Servietten hätte hinausschmuggeln können. Doch nun war es zu spät.
    »Wenn du auf der Bettpfanne warst, schieb die auch raus. Und dann zieh dir das Ende von der Kette rein, damit du in den Schlafsack kommst. Aber dalli, wir haben noch ‘n Haufen Arbeit.«
    Ich tat, wie mir geheißen. Der Reißverschluß ging zu.
    Ich hatte große Mühe, in den Schlafsack hineinzukommen, und schaffte es erst, als ich das angekettete Bein vorneweg schob. Aber selbst dann war mir der dicke Mantel noch im Weg. Nach allerlei Ziehen und Zerren bekam ich endlich die Arme frei und konnte den Mantel an der Kette entlang nach unten schieben. Dann kroch ich in den Schlafsack und breitete den Mantel darüber. Der Reißverschluß ging hoch, und die Bettpfanne wurde hereingeschoben. Der stundenlange, anstrengende Fußmarsch und nun noch der Kampf mit dem Schlafsack hatten mich so erschöpft, daß ich ohne weiteres einschlief.
    2
    Eine Hand packte mich durch den Schlafsack am Fuß und schüttelte ihn grob. Ich war noch reichlich benommen, als ich zu mir kam. Der Zeltgeruch, meine schmerzenden Glieder und obendrein eine nervöse Gereiztheit verwirrten mich vollends. Wenn das hier ein Campingurlaub war, warum war mir dann so elend zumute? Doch dann gab sich der vermeintliche Reizzustand zu erkennen, und mit ihm kehrte die Angst zurück. Draußen vor dem Zelt wurde schon wieder eifrig abgeholzt und Geäst vorbeigeschleift. Dann eine laute Flüsterstimme: »Raus aus dem Schlafsack und herkommen!«
    Der Reißverschluß am Eingang öffnete sich nur einen Spaltbreit. Jetzt, bei Tageslicht, sollte ich nicht mitbekommen, wie es außerhalb des Zeltes aussah. Aber ich mußte nach draußen. Wie sollte ich sonst… Ich zwängte mich aus dem Schlafsack und rutschte auf dem Po vorwärts.
    »Hören Sie! Sind Sie noch da? Ich muß unbedingt mal raus und auf die Toilette.« Gelächter. Sie waren zu zweit.
    »Dazu hast du doch die Bettpfanne. Aber beeil dich.«
    Ich geriet in Panik. »Ich kann nicht. Unmöglich. Das geht nicht im Liegen.«
    »Streck die Füße raus.«
    Dem Himmel sei Dank, sie wollten mir die Stiefel wiedergeben. Kaum hatte ich die Beine durch die schmale Öffnung geschoben, da schrie ich laut auf: Ein Stock oder Spatenstiel sauste auf meine Füße nieder. Als die jäh zurückschnellten, wurde das wieder mit Gelächter quittiert.
    »Geh auf die Bettpfanne.«
    Es war schwierig, die mit einer Hand in Stellung zu bringen, noch schwerer war es, im Liegen die richtigen Muskeln zu betätigen, besonders mit einem so schmerzhaften Muskelkrampf, wie ihn mir der gestrige Gewaltmarsch eingebracht hatte. Ich dachte an die Nacht zuvor und an die Höhle, wo es einfacher gewesen wäre, wo sich mein Darm aber nicht gemeldet hatte. Und jetzt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher