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Also lieb ich ihn - Roman

Also lieb ich ihn - Roman

Titel: Also lieb ich ihn - Roman
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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dabei hatte sie bisher das Stupsnäschen ihrer Mutter gehabt. Hannahs Mutter ist eine zierliche kleine Frau, die gern Stirnbänder trägt, sich regelmäßig blonde Strähnchen machen lässt und jeden |17| Morgen, sommers wie winters, mit Tante Polly und zwei anderen Frauen Tennisdoppel spielt. Mit achtunddreißig bekam sie eine feste Zahnspange, die sie sich mit vierzig – letztes Jahr – entfernen ließ, doch im Grunde hatte sie von jeher die Persönlichkeit einer attraktiven, erwachsenen Zahnspangenträgerin: privilegiert und trotzdem bescheiden, wohlmeinend, aber ohne sich wirklich Gehör zu verschaffen. Hannahs Gewicht hat sie bisher kein einziges Mal direkt angesprochen, allerdings lässt sie sich hin und wieder mit übertriebenem Enthusiasmus über die Vorzüge von, sagen wir mal, Staudensellerie aus. In solchen Momenten kommt sie Hannah weniger kritisch denn beschützend vor, als unternähme sie den sanften Versuch, ihre Tochter vom falschen Weg abzubringen.
    Wird Hannah etwa hässlich? Falls ja, ist es wohl das Schlimmste, was ihr widerfahren kann; so enttäuscht sie die Erwartungen ihrer Familie und möglicherweise auch die sämtlicher Jungen und Männer. Hannah hat es sowohl über das Fernsehen erfahren als auch durch die Blicke der Jungen und Männer. Man kann es förmlich
sehen
, wie sehr sie sich nach Schönheit verzehren. Gar nicht mal auf frauenfeindliche Weise, nicht unbedingt, um sie zu besitzen. Rein instinktiv, bloß, um sich an ihrem Anblick zu erfreuen. So viel allerdings erwarten sie, insbesondere von jungen Mädchen. Eine ältere Frau wie Elizabeth darf dicker werden, ein junges Mädchen aber muss schön sein oder wenigstens sexy, es liegt in seiner Verantwortung. Spricht man das Wort
Sechzehnjährige
vor einer x-beliebigen Gruppe von Männern aus, seien sie nun elf oder fünfzig Jahre alt, bekommen sie einen mehr oder weniger lüsternen Blick, den sie vielleicht sogar zu unterdrücken versuchen. In jedem Fall werden sie sich die glatten sonnengebräunten Beine der Sechzehnjährigen vorstellen, die hohen Brüste und die langen Haare. Kann |18| man Männern überhaupt vorwerfen, dass sie von Mädchen eine solche Schönheit erwarten?
    Ich sollte Kniebeugen machen, denkt Hannah, hier und jetzt – mindestens fünfundzwanzig, oder gleich fünfzig. Aber im Kühlschrank lockt dieses große Stück Cheddarkäse, im Vorratsschrank warten die knusprigen Salzkräcker. Hannah isst sie im Stehen an der Spüle, bis sie Ekel empfindet und aus dem Haus geht.
    Die Straße ihrer Tante, eigentlich eine Sackgasse, mündet in einen Park, auf der anderen Seite befindet sich ein öffentliches Schwimmbad. Etwa zwanzig Meter vor dem Schwimmbadzaun macht Hannah kehrt. Sie setzt sich an einen verwitterten Picknicktisch und blättert wieder in der Zeitschrift, obwohl sie inzwischen jeden Artikel mehrmals gelesen hat. In diesem Sommer hatte sie vorgehabt, sich in Philadelphia als Freiwillige Krankenhelferin einsetzen zu lassen, und es ginge auch im Krankenhaus, in dem Elizabeth als Krankenschwester arbeitet, wenn Hannah nur wüsste, wie lange sie noch hierbleiben muss. Aber sie hat keine Ahnung. Mit Allison und ihrer Mutter hat sie telefoniert, daheim ist alles beim Alten: Die beiden sind immer noch bei Tante Polly und Onkel Tom, ihre Mutter weigert sich immer noch, nach Hause zurückzugehen. Das Merkwürdigste ist aber, sich ihren Vater nachts allein im Haus vorzustellen; wie soll er ohne sie ausrasten? Das müsste doch ungefähr so sein, als schaute man sich allein eine Gameshow im Fernsehen an, wie sinnlos und vergeblich wäre es da, die Antworten zu brüllen. Was bringt ein Wutausbruch ohne Zeugen? Wo bleibt die Spannung, wenn kein zitterndes Publikum zugegen ist?
    Ein Typ in Jeans und weißem Muskelshirt kommt auf Hannah zu. Sie senkt den Blick, tut so, als würde sie lesen.
    Schon steht er vor ihr; er hat die ganze Strecke zurückgelegt. »Hast du Feuer?«, fragt er.
    |19| Sie blickt auf und schüttelt den Kopf. Der Typ ist um die achtzehn, etwa zehn Zentimeter größer als sie, sein schimmerndes blondes Haar ist ganz kurz, beinah wie abrasiert, er hat einen spärlichen Schnurrbart, zusammengekniffene blaue Augen, aufgeworfene Lippen und eine gut ausgebildete Armmuskulatur. Wo kommt er so plötzlich her? Zwischen zwei Fingern hält er eine Zigarette, die noch nicht angezündet ist.
    »Du rauchst nicht, oder?«, sagt er. »Macht Krebs.«
    »Ich rauche nicht«, antwortet sie.
    Er sieht sie an – mit der Zunge fährt
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