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Also lieb ich ihn - Roman

Also lieb ich ihn - Roman

Titel: Also lieb ich ihn - Roman
Autoren: Elisabeth Curtis Sittenfeld
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ihm unabänderlich ist? Sich zu beschweren oder Widerstand zu leisten wäre sinnlos, ebenso gut könnte man sich über einen Tornado beschweren oder dagegen Widerstand leisten. Darum verstört es Hannah auch am meisten, dass ihre Mutter sich jetzt weigert, nach Hause zurückzukehren, darum weist ihr Hannah ebenso viel Schuld an diesen Umwälzungen zu wie ihrem Vater. Wie kam ihre Mutter überhaupt dazu, ihm die Stirn zu bieten? Sie hält sich nicht mehr an die familieninternen Spielregeln.
    Vielleicht hat dieses nach außen Gekehrte das Ganze noch schlimmer gemacht, die Tatsache, dass sie mitten in der Nacht zu Tante Polly und Onkel Tom fahren und an deren Tür klopfen mussten, während die Folgen der väterlichen Raserei doch sonst immer im Haus verborgen blieben, ganz ohne Zeugen. Oder war es vielleicht diese dramatische Steigerung, denn die Art und Weise, wie er sie vor die Tür gesetzt hatte, war in gewisser Hinsicht theatralischer gewesen als die übliche Brüllerei, das Türenknallen |15| oder der Teller, der gelegentlich zu Bruch ging. Es war wirklich beschämend (wie Hannah in ihrem rosa Nachthemd mit den aufgedruckten bunten Kaugummikugeln vor ihren Cousins Fig und Nathan dastand; das Nachthemd hat sie seit der fünften Klasse), aber es war kein traumatisches Erlebnis. Selbst wenn ihre Mutter sich weigert, nach Hause zurückzukehren – einzig ihr Benehmen lässt es traumatisch erscheinen. Sie benimmt sich so, als könnte sie, könnten sie alle an Hannahs Vater ganz gewöhnliche Erwartungen stellen. Aber sie
wissen
doch alle, dass sie
das
eben nicht können. Und gerade Hannahs Mutter ist diejenige, die über Jahre alles darangesetzt hat, es ihm stets recht zu machen, die Hannah und Allison beigebracht hat, wie man da vorgehen muss, in Wort und Tat.
     
    Hannah schaltet den Fernseher aus – ihn tagsüber laufen zu lassen erinnert sie an Bettlägerigkeit – und nimmt die Zeitschrift vom Vortag wieder in die Hand. Sie ist allein im Haus: Elizabeth ist bei der Arbeit, Rory in der Schule, und Darrach, der morgen zu seiner nächsten Tour aufbricht, ist gerade im Baumarkt.
    Es wäre so schön, berühmt zu sein, denkt Hannah beim Blättern. Nicht wegen des Geldes oder des Glamours, wie die Leute immer annehmen, sondern wegen des Schutzwalls. Wie könnte man sich je einsam fühlen oder gelangweilt, wenn man berühmt ist? Dafür bliebe gar keine Zeit, denn man hätte keine einzige Minute für sich. Man würde von einem Termin zum nächsten, von einer Person zur anderen chauffiert werden, müsste Drehbücher lesen, sich für die kommende Oscarverleihung ein perlenbesetztes silbernes Abendkleid anpassen lassen, die Bauchmuskeln trainieren, unter Aufsicht des Personal Trainer Enrique mit seinem anfeuernden Gebrüll. Man hätte eine eigene Gefolgschaft, die Leute würden sich um ein Zeichen der |16| Anerkennung reißen. Die Journalisten würden fragen, welche Neujahrsvorsätze man gefasst habe oder was man zwischendurch am liebsten äße; nichts würde sie brennender interessieren.
    Die Eltern von Julia Roberts ließen sich scheiden, als sie vier Jahre alt war – ihr Vater Walter war Staubsaugervertreter, ihre Mutter Betty war Sekretärin der Kirchengemeinde –, und dann starb ihr Vater an Krebs, als sie neun war, es war bestimmt furchtbar, oder vielleicht war es auch eine Erlösung. So oder so liegt Julias Kindheit in Smyrna, Georgia, eine ganze Weile zurück. Jetzt ist sie dreiundzwanzig und lebt in Kalifornien. Hannah war nie dort, aber in ihrer Vorstellung weht ein frischer Wind, strahlt die Sonne, wimmelt es von hochgewachsenen Menschen und auf Hochglanz polierten Autos, über die sich ein unendlich blauer Himmel erstreckt.
    Es ist kurz nach eins, vor einer Stunde hat Hannah ein Sandwich mit Erdnussbutter und Marmelade gegessen, trotzdem fällt ihr jetzt ein, was es in der Küche noch zu essen gibt: die Reste der vegetarischen Enchiladas, die Darrach gestern Abend gemacht hat, Choc-Choc-Chip-Eis. Sie nimmt zu, das ging schon vor ihrer Ankunft in Pittsburgh los. Seit Beginn der achten Klasse hat sie elf Pfund zugenommen; inzwischen hat sie Hüften und trägt BHs mit der unangenehmen und einst unvorstellbaren Körbchengröße 85C. Ebenso unvermittelt ist in ihrem Gesicht die Nase einer Fremden aufgetaucht. Es wurde ihr erst beim Betrachten des jüngsten Klassenfotos bewusst: ihr hellbraunes Haar und die blasse Haut, ihre blauen Augen und dann plötzlich dieser überzählige Fleischknubbel an ihrer Nasenspitze,
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