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Als ploetzlich alles anders war

Als ploetzlich alles anders war

Titel: Als ploetzlich alles anders war
Autoren: Martina Dierks
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wir Spinner halten zusammen, was!«, rief Stiepe und startete den Bus.

Miss Frankenstein
    Im Rollstuhl fühlte Louisa sich nicht nur sicherer, es war auch weniger peinlich als das tapsige Laufen. War sie nervös wie heute, machte ihr Körper sowieso, was er wollte. Da konnte sie noch tausend Jahre diese Scheißkrankengymnastik machen, an ihrem unbeholfenen Gang würde das gar nichts mehr ändern. Außer sie tauschten ihren alten Kopf mit dem beschädigten Programm gegen einen neuen aus. Miss Louisa Frankenstein, hahaha.
    Wenigstens klappte das mit dem Sprechen wieder. Kurz nach ihrem Unfall hatte Louisa fast genauso schleppend wie Tinka gesprochen. Als klebte ihre Zunge unten am Gaumen fest und ihre Mundhöhle wäre mit Watte gepolstert. Sie zerrte die Worte heraus, Silbe für Silbe, stammelte und spuckte, bis sie endlich mal einen Satz zustande gebracht hatte. Früher hatte sie nie darauf geachtet, wo die Zunge bei einem bestimmten Laut anstieß, an den Gaumen an die Zähne, wie bei einem » B « zum Beispiel, obwohl das ja ein Lippenlaut war, aber ohne Unterstützung der Zunge einfach nur dumpf klang. Okay, einfach drauflosplappern ging nicht mehr– oder noch nicht.
    Die Logopädietussi damals in der Klinik hatte behauptet, es läge nur an Louisa selbst, wie viel sie noch erreichen könnte– das sagten sie alle, die Ärzte und Therapeuten. Aber am Anfang hatte Louisa auch für einen kurzen Satz bestimmt eine Minute gebraucht.
    Das Wetter ist schön. Aber das ist mir so was von scheißegal. Glück im Unglück gehabt, na super. Bin trotzdem ein Freak!
    Im letzten Jahr hatte Louisa um diese Zeit schon für das Weihnachtsschaulaufen in der Eissporthalle ihres Clubs trainiert. Louisa klemmte ihre Lippen zwischen die Zähne und schloss die Augen. Bloß jetzt nicht daran denken. Nicht an diese Sachen, die ihr so viel bedeutet hatten. Es gab bestimmt noch einiges, was sie wieder erlernen konnte– aber das Schlittschuhlaufen gehörte nicht dazu. Das hatte ihr keiner sagen müssen, das wusste sie auch so.
    Als der Bus vor Louisas Schule hielt, standen ein paar Jungen und Mädchen draußen herum, die Louisa bloß vom Sehen kannte. Einige bewarfen sich mit Schneebällen, die Mädchen kreischten. Aber kaum dass Stiepe die Rampe aufgeklappt hatte, glotzten sie alle, als gäbe es sonst was zu sehen. Bernd rieb mit seiner Hand ein Guckloch in die beschlagene Scheibe und klopfte grinsend dagegen.
    »Mongo-Bongo«,hörte Louisa einen der Jungen sagen und dann kichern, während Stiepe Louisa über die Rampe mitten hinein in die gaffende Menge auf die Straße schob. Sie machten natürlich Platz, um Stiepe mit Louisas Rollstuhl durchzulassen, aber als sie vorbeigerollt waren, hörte Louisa ihr leises, aufgeregtes Getuschel.
    Stiepe schob Louisa durch die Eingangstür, da war eine kleine Stufe, die hätte sie nicht ohne Hilfe geschafft, und verabschiedete sich dann.
    » Viel Glück«, sagte er leise.
    Louisa antwortete nicht. Dann stand sie im Foyer des Schulgebäudes, wie betäubt von den vielen Gerüchen und dem Lärm der vorbeirennenden Kinder.
    Ein kleines Mädchen, vermutlich eine Erstklässlerin, blieb vor ihr stehen und blickte sie mit großen Augen unbefangen an.
    » Sind deine Beine krank?«, fragte das kleine Mädchen mitfühlend und entblößte beim Sprechen eine Lücke in der oberen Zahnreihe. Das sah auf eine so rührende Weise witzig aus, dass Louisa schmunzeln musste.
    » So ähnlich«, erwiderte sie, griff in die Räder und rollte ein paar Meter weiter. Wo war nur der verdammte Klassenraum.
    Die 6a sei jetzt in Raum 13, hatte Hatice gesagt, als sie Louisa gestern Abend angerufen und gefragt hatte, ob sie auf Louisa vor der Schule warten sollten, aber das hatte Louisa abgelehnt. Das bereute sie jetzt. Sie kam sich plötzlich so verloren vor, obwohl sie das Schulhaus seit vielen Jahren kannte. Aber wie so vieles, was einmal vertraut war, erschien ihr auch hier jetzt alles fremd und feindlich.
    » Weißt du nicht, wo deine Klasse ist?«, fragte das kleine Mädchen, das Louisa nachgelaufen war. » Oder soll ich dich schieben?«
    Louisa lächelte verkrampft.
    » Das schaffe ich schon allein«, sagte sie.
    » Is’ aber schwer, oder? Da tun dir bestimmt oft die Arme weh.«
    » Es geht schon«, sagte Louisa.
    » Soll ich dir nicht doch helfen?«, bot das kleine Mädchen an.
    » Danke, aber ich denke, du solltest jetzt mal lieber in deine Klasse gehen, sonst kommst du zu spät!«
    » Ich bin aber schnell«, behauptete das
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