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Als ploetzlich alles anders war

Als ploetzlich alles anders war

Titel: Als ploetzlich alles anders war
Autoren: Martina Dierks
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unkontrolliert zuckte.
    » Bist du Tinkas Freundin? Wird ja auch mal Zeit, dass sie endlich eine hat«, sagte Perle. Louisa fand sie irgendwie kühn.
    So extrem gestylt wie Perle würde sie sich selbst nie auf die Straße trauen. Sie hätte Angst, dass man sich über sie lustig machen könnte. Lieber nicht zu sehr auffallen, ein Rollstuhl oder Krücken waren schon Blickfang genug. Sich lächerlich zu machen, war mit das Schlimmste, was sie sich vorstellen konnte. Doch irgendwie imponierte ihr Perle. Sie hatte ein hübsches Gesicht und war zierlich, sie konnte gut solche Sachen tragen. Warum sollte sie darauf verzichten, nur weil sie ein Handicap hatte? Vielleicht würde Louisa sich auch eines Tages trauen, einen so eigenwilligen Stil zu entwickeln. Als Ausdruck ihrer Persönlichkeit oder einfach, weil es Spaß machte, sich zu verkleiden.
    Perle führte Louisa durch die breite Diele an einem offenen Wohn - und Küchenbereich in Tinkas Zimmer. Dann ließ sie die beiden allein.
    » Ich freu mich ja so, Louisa«, sagte Tinka, die im Bett lag und sehr zerbrechlich wirkte. Sie musste husten und bat Louisa, ihr eine Schnabeltasse, die mit einer gelben Flüssigkeit auf dem Nachttisch stand, an die Lippen zu halten.
    » Normalerweise brauche ich keine Hilfe beim Trinken, nur im Liegen. Sonst benutze ich einen Strohhalm«, sagte Tinka, als sie ausgetrunken hatte und Louisa die Schnabeltasse wieder auf den Tisch stellte.
    » Kein Problem«, sagte Louisa leise und erkannte plötzlich, wie unabhängig und selbstständig sie im Vergleich mit Tinka immer noch war.
    » Wie findest du Perle?«, fragte Tinka unvermittelt.
    » Irgendwie schräg, aber nett.«
    » Sie hatte mit vierzehn einen Autounfall«, sagte Tinka. » Perle saß hinten im Auto und war nicht angeschnallt. Sie waren zu fünft, außer ihr ist keinem was passiert.« Tinka erzählte, dass sich Perles Freunde von damals alle nicht mehr blicken ließen. Die hätten Perle nach ihrem Unfall fallen gelassen wie eine heiße Kartoffel. Perle tat zwar immer so, als würde ihr das nichts ausmachen, aber Tinka wusste, wie sehr sie darunter litt und wie einsam sie war. Früher hatte sie E-Gitarre gespielt und hatte unbedingt Rockstar werden wollen, doch das Gitarrespielen ging mit ihren steifen Fingern nicht mehr. Die Feinmotorik war gestört, sie konnte keine Saite mehr richtig greifen.
    » Aber manchmal singt sie«, erzählte Tinka. » Perle hat eine wirklich irre gute Stimme. Das darf man ihr aber nicht sagen, sonst fängt sie gleich zu toben an. Ihre Stimme würde beschissen klingen, schreit sie dann, ich soll doch gefälligst meine Klappe halten und keinen solchen Mist erzählen. Als wenn ich das nur sagen würde, um sie zu trösten, dabei finde ich sie wirklich gut.«
    » Tratschst du da etwa über mich, Tinka?«, rief Perle von draußen.
    » Na klar doch, und wie ich tratsche«, rief Tinka zurück.
    Louisa schaute sich verstohlen in Tinkas Zimmer um. Das hatte sie bis jetzt noch nicht getan. Es war hübsch eingerichtet. Mit ganz normalen Möbeln und Postern an den Wänden. Make Love Not War – Behinderte aller Länder vereinigt euch. Louisa hatte nur Plakate von Popsängern und den Stars aus ihren Lieblingsserien aufgehängt.
    » Es ist nicht leicht für Perle«, sagte Tinka leise. Sie flüsterte fast, damit Perle sie nicht hörte.
    Und was ist mit dir, hätte Louisa jetzt gern gefragt. Aber sie traute sich nicht. Es war noch so neu für sie, über eine Behinderung zu sprechen, als wenn es nur eine vorübergehende Krankheit wäre. Etwas völlig Alltägliches wie ein Schnupfen oder Masern.
    » Bei mir ist das anders«, sagte Tinka plötzlich. » Ich bin drei Monate zu früh auf die Welt gekommen«, sagte Tinka. » Sauerstoffmangel, Hirnblutung und so weiter, das ganze Programm. Aber ich lebe und ich bin nicht mal so blöd, wie alle gedacht haben. In einem Jahr mache ich Abi und dann studiere ich Sozialpädagogik.«
    » Echt jetzt?«
    Louisa fragte sich, wie Tinka das schaffte. Sie konnte ja nicht einmal ihre Hände ganz frei bewegen, selbst an einem PC würde sie scheitern. Aber dann erfuhr Louisa, dass Tinka einen Sprachcomputer und Schulhelfer hatte, die ihr bei bestimmten Sachen, die sie nicht allein konnte, assistierten.
    » Wenn ich mal aufs Klo muss, zum Beispiel«, Tinka lachte, dann musste sie wieder husten. Heftiger diesmal und Louisa gab ihr, ohne dass Tinka sie erst darum bitten musste, aus der Schnabeltasse zu trinken.
    » Und warum wohnst du hier und nicht mehr
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