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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war
Autoren: S Winman
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durchgeht.«
    » Und einen Rundhalsausschnitt draus machen?«, sagte ich und klang jetzt schon viel sicherer.
    » Ja, so in der Art.«
    Tagelang humpelte er und nestelte an seinem Hosenlatz herum wie der Verrückte, der im Park hauste; der Mann, von dem wir uns eigentlich fernhalten sollten, es aber nie taten. Er wich meinen Fragen aus und auch meiner Bitte, es anschauen zu dürfen, aber dann, etwa zehn Tage später, nachdem die Schwellung zurückgegangen war und wir in meinem Zimmer spielten, wollte ich endlich wissen, wie es geworden war.
    » Zufrieden damit?«, fragte ich und verputzte meinen letzten Jaffa-Keks.
    » Denk schon«, sagte er und versuchte, sich ein Grinsen zu verkneifen. »Ich seh jetzt aus wie Howard. Ich hab einen jüdischen Penis.«
    » Genau wie Mr Golans Penis«, sagte ich und ließ mich zurück in mein Kissen sinken, ohne die Stille zu bemerken, die sich unverzüglich im Raum ausgebreitet hatte.
    » Woher weißt du, wie Mr Golans Penis aussieht?«
    Ein fahler Schimmer legte sich auf sein Gesicht. Ich hörte, wie er schluckte. Schweigen. Draußen das schwache Geräusch eines bellenden Hundes.
    Schweigen.
    » Woher weißt du es?«, fragte er noch einmal. » Sag’s mir.«
    In meinem Kopf hämmerte es. Ich fing an zu zittern.
    » Du darfst es niemandem erzählen«, sagte ich.
    Er taumelte aus meinem Zimmer und nahm eine Last mit sich, die zu tragen er noch zu jung war. Aber dennoch nahm er sie auf sich und erzählte niemandem davon, wie er es versprochen hatte. Und ich erfuhr nie, was wirklich passiert war, nachdem er in jener Nacht mein Zimmer verlassen hatte. Auch später nicht; er wollte es mir nicht sagen. Aber ich sah Mr Golan nie wieder. Zumindest nicht lebend.
    Er fand mich unter der Bettdecke, unter die ich mich verkrochen hatte. Ich war traurig, verwirrt, und ich flüsterte: » Er war mein Freund.« Aber ich war mir nicht mehr sicher, ob das noch meine Stimme war, jetzt, da ich eine andere war.
    » Ich besorg dir einen richtigen Freund«, war alles, was er sagte, und er hielt mich im Dunkeln im Arm, so trotzig wie Granit. Und fest zusammengekuschelt taten wir so, als sei das Leben noch genauso wie vorher. Als wir beide noch Kinder waren, und Vertrauen, genau wie die Zeit, noch beständig war. Und selbstverständlich immer vorhanden.

Meine Eltern waren in der Küche und übergossen den Truthahn mit der Bratflüssigkeit. Der Geruch zog durch das ganze Haus und machte meinen Bruder und mich ganz schwindelig, während wir die letzten beiden Schokopralinen aus einer Packung Cadbury Milk Tray verdrückten. Wir standen vor dem Weihnachtsbaum, dessen elektrische Beleuchtung bedrohlich flackerte und knisterte, aufgrund eines defekten Anschlusses irgendwo in der Nähe des Sterns (meine Mutter hatte mich schon eindringlich gewarnt, dort bloß nicht hinzufassen). Wir starrten deprimiert auf die Stapel von ungeöffneten Geschenken, die darunter verstreut lagen; Geschenke, die wir erst nach dem Mittagessen würden öffnen dürfen.
    » Nur noch eine Stunde«, sagte mein Vater, der als Elf verkleidet ins Wohnzimmer gehüpft kam. Sein immer noch jugendlich aussehendes Gesicht lugte unter seinem Hut hervor, und mir fiel auf, dass er eher wie Peter Pan aussah als wie ein Elf: eher der ewige Junge als der tückische Waldgeist.
    Mein Vater verkleidete sich gern. Und er nahm die Sache ernst. Genauso ernst wie seine Arbeit als Anwalt. Und jedes Jahr überraschte er uns mit einer neuen festlichen Rolle, die er über die gesamten Feiertage beibehielt. Es war so, als wäre ein ungebetener Gast zwangsweise in unser Leben getreten.
    » Habt ihr gehört?«, fragte mein Vater. » Nur noch eine Stunde bis zum Mittagessen.«
    » Wir sind dann mal draußen«, erwiderte mein Bruder missmutig.
    Wir langweilten uns. Alle anderen aus unserer Straße hatten ihre Geschenke bereits ausgepackt und trugen das Nützliche und Nutzlose vor unseren neidvollen Augen zur Schau. Wir saßen niedergeschlagen auf der feuchten Mauer vor unserem Haus. Mr Harris rannte vorbei und präsentierte stolz seinen neuen Trainingsanzug, der unerfreulicherweise einige Stellen zu sehr betonte.
    » Den hab ich von meiner Schwester Wendy«, rief er uns zu, bevor er unnötigerweise die Straße hinunterspurtete, die Arme nach einer imaginären Zielmarkierung ausgestreckt.
    Mein Bruder sah mich an. » Er hasst seine Schwester Wendy.«
    Ich dachte mir nur, dass sie ihn sicher auch nicht gerade gut leiden konnte, während ich zusah, wie der lila-orange-grüne
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