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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war
Autoren: S Winman
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Blitz um die Ecke flitzte und dabei nur knapp Olive Binsbury und ihre Gehhilfe verfehlte.
    » Essen!«, rief mein Vater um drei Minuten vor zwei.
    » Also dann komm«, sagte mein Bruder. » Auf in den Kampf.«
    » Welcher Kampf?«, fragte ich, während mein Bruder mich bereits zum Esszimmer und zum Duft des mit viel selbstlosem Enthusiasmus zubereiteten Essens führte.
    Zuerst sah ich nur die Schachtel; den ausgedienten Karton eines Fernsehers, hinter dem der Kopf meines Bruders verschwand. Seine Füße tasteten sich vorsichtig vorwärts wie Blindenstöcke.
    » Bin ich schon da?«, fragte er, als er auf den Tisch zusteuerte.
    » Fast«, sagte ich.
    Er stellte die Schachtel auf dem Tisch ab. Ich konnte feuchtes Heu riechen. Der Karton bewegte sich ruckartig, aber ich hatte keine Angst. Mein Bruder machte die Klappen auf und hob das größte Kaninchen heraus, das ich je gesehen hatte.
    » Ich hab dir doch gesagt, dass ich dir einen richtigen Freund besorge.«
    » Ein Kaninchen!«, quietschte ich erfreut.
    » Eigentlich ein Hasenkaninchen«, sagte mein Bruder ziemlich väterlich.
    » Hasenkaninchen«, hauchte ich, als wäre dieses Wort das Äquivalent zu »Liebe«.
    » Wie willst du es nennen?«, fragte er.
    » Eleanor Maud«, sagte ich.
    » Du kannst es doch nicht nach dir selbst benennen«, sagte mein Bruder lachend.
    » Warum nicht?«, fragte ich etwas ernüchtert.
    » Weil es ein Junge ist.«
    » Oh«, seufzte ich und betrachtete sein kastanienbraunes Fell und seine weiße Blume und die zwei kleinen Köttel, die aus seinem Hinterteil gefallen waren, und dachte bei mir, dass er tatsächlich wie ein Junge aussah.
    » Was meinst du denn, wie ich ihn nennen soll?«, fragte ich.
    » Gott«, sagte mein Bruder großspurig.
    » Lächeln!«, rief mein Vater und hielt mir seine neue Polaroidkamera vors Gesicht. BLITZ ! Das Kaninchen zappelte in meinen Armen, und ich wurde für einen Augenblick blind.
    » Alles okay?«, fragte mein Vater und klemmte sich die Kamera aufgeregt unter den Arm.
    » Ich glaub schon«, sagte ich und lief gegen den Tisch.
    » Alle herkommen! Kommt und schaut euch das an!«, rief er, und wir drängten uns um das sich entwickelnde Foto und sagten » Oh!« und » Ah!« und » Da kommt’s!«, während mein verschwommenes Gesicht immer schärfer wurde. Ich fand, dass der neue Kurzhaarschnitt, um den ich gebettelt hatte, seltsam aussah.
    » Du siehst hübsch aus!«, sagte meine Mutter.
    » Nicht wahr?«, meinte mein Vater.
    Aber alles, was ich sehen konnte, war ein Junge, dort, wo ich hätte sein sollen.

Der Januar 1975 war schneefrei und mild. Ein trüber, uninspirierender Monat, in dem Schlitten unbenutzt und gute Vorsätze unausgesprochen blieben. Ich ließ fast nichts unversucht, um meine bevorstehende Rückkehr zur Schule zu verdrängen, aber schließlich trat ich doch durch die schweren, grauen Türen, und die Erinnerung an das vergangene Weihnachtsfest lastete mir schwer auf der Brust. Während ich versuchte, der heimtückischen Trägheit auszuweichen, kam ich zu dem Schluss, dass mir langweilige Wochen bevorstünden. Eintönig und langweilig. Zumindest bis ich um die Ecke bog, denn da war sie, vor meinem Klassenzimmer.
    Zuallererst fiel mir ihr Haar auf, wild und dunkel und wollig, das sich aus der Umklammerung des Haarbands befreit hatte, das ihr bis auf die glänzende Stirn gerutscht war. Ihre Strickjacke war zu lang– handgestrickt und von Hand gewaschen–, ausgeleiert vom vielen Auswringen. Sie hing ihr bis zu den Knien und war nur einen Tick kürzer als der graue Rock der Schuluniform, die wir alle tragen mussten. Sie bemerkte mich nicht, als ich an ihr vorbeiging, nicht einmal, als ich hustete. Sie starrte ihren Finger an. Ich drehte mich nach ihr um; ihr Blick hatte sich fest auf die Haut ihrer Fingerspitze geheftet. Sie wandte Hypnose an, wie sie mir später verraten würde.
    Ich hielt meinen Klassenkameraden das Bild meines Kaninchens vor die verblüfften Gesichter.
    » …und so entschloss sich Gott an Weihnachten schließlich, bei mir zu wohnen«, schloss ich triumphierend meinen Bericht.
    Mit einem breiten Lächeln hielt ich inne, voller Erwartung auf meinen Applaus. Aber er kam nicht, der ganze Raum war verstummt und unvermutet plötzlich dunkel geworden; die Deckenbeleuchtung versuchte zwecklos und gelblich gegen die Gewitterwolken anzukommen, die sich draußen zusammenbrauten. Und mit einem Mal fing die Neue, Jenny Penny, zu klatschen und zu jubeln an.
    » Sei still!«, schrie
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