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Als Gott ein Kaninchen war

Als Gott ein Kaninchen war

Titel: Als Gott ein Kaninchen war
Autoren: S Winman
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dass sie mich nicht sehen wollen würde– denn das hatte sie nie, in all den Jahren nicht. Aber ich musste ihn erfüllen, den Pakt, den wir heimlich geschlossen hatten, der besagte, ich bin immer für dich da, und der über Briefe kommuniziert worden war und eine Zeitungskolumne, die auf ihre abschließende Zeile zuhinkte, die nach ihrer Rückkehr schrie.
    An diesem Nachmittag gab es kein Fünkchen Wärme, nicht einmal im Taxi vom Bahnhof; die Heizung war kaputt.
    » Sorry, das ist ein Scheißauto, Miss«, sagte der junge Fahrer. » Aber ich kann Ihnen die Hände wärmen, wenn Sie wollen?«
    » Geht schon«, sagte ich.
    *
    Ich wartete in der Schlange, in der Hand eine kleine Tüte voller Geschenke, uneingepackt natürlich, schließlich hatte ich meine Lektion gelernt. Ich blickte mich um und sah einen jungen Mann, der an seinem Handy herumfummelte; das würden sie ihm auch noch abnehmen. Ich konnte sehen, dass er zum ersten Mal hier war, und normalerweise ging ich solchen Begegnungen aus dem Weg, aber an diesem Nachmittag bot ich ihm ein Stück Schokolade an. Er nahm es dankbar, nicht bloß als Nervennahrung, sondern auch, weil er froh war, nicht mehr allein hier zu stehen.
    » Das erste Mal hier?«, fragte ich.
    » Ist das so offensichtlich?«
    » Ich fürchte ja.«
    » Kalt, nicht?«
    » Eiskalt.«
    » Wen besuchen Sie?«
    » Eine Freundin. Sie kommt bald raus.«
    » Super«, sagte er. » Meine Schwester sitzt für drei Jahre. Geht gerade erst los.«
    » Das ist übel.«
    » Das ist es, gerade zu Weihnachten und alles«, sagte er und fing an, von einem Bein aufs andere zu treten. » Ist es okay für sie? Drinnen, meine ich.«
    » Ganz okay. Man sagt, es gibt viel Schlimmere.«
    » Dann ist ja gut«, meinte er. » Es würde es mir sehr schwer machen, wenn ich wüsste, dass sie an einem üblen Ort ist.«
    » Wird schon schiefgehen. Die meisten kommen klar.«
    Das Tor ging auf, und die Schlange setzte sich in Bewegung.
    » Viel Glück«, wünschte ich ihm, als wir hineingingen.
    Ich passierte mühelos die Sicherheitskontrolle, aber mittlerweile kannte ich das Prozedere auch, und oft lächelten sie mich an oder erkundigten sich nach meinem Befinden. Man kannte mich, ich hatte einen Ruf weg, diejenige, die immer wieder auftauchte, aber nie empfangen wurde. Das Objekt der unterschiedlichsten Spekulationen: Ich war die sitzengelassene Geliebte, das verhasste Familienmitglied, die sendungsbewusste christliche Freiwillige, die das Wort Gottes verbreiten wollte.
    Im Besuchersaal war es zur Abwechslung einmal warm. Die Dekoration war dieselbe wie im letzten Jahr, ausgeblichen und knitterig. Sie hing schlaff herunter und rang der Queen kein Lächeln ab, wie sie da so um ihren Bilderrahmen herumhing, mit einer Haltung, die an Verrat grenzte. Ich musste an den Weihnachtsbaum denken, den wir gerade in Cornwall aufgestellt hatten, und der vom Boden bis zur Decke reichte, eine dichte grüne duftende Kiefer. Wir hatten sie vor ein paar Tagen geschmückt, und Arthur war die Leiter hinaufgeklettert, um den Stern auf die Spitze zu stecken, jetzt, da er wieder ein heiles Auge hatte, das ihn durch seine restlichen Tage führte, so dass auch Nelson von nun an der einfache Hund sein konnte, der er eigentlich war.
    Nach und nach kamen die Frauen heraus, und ich sah, wie sich seine Schwester zu dem jungen Mann aus der Schlange vorhin gesellte– sie war eine der Ersten, die hereinkam, und schien sehr glücklich, ihn zu sehen. Und dann Maggie, drüben links; ihre Tochter trug einen neuen Trainingsanzug. Sie drehten sich zu mir um und winkten. Ich lächelte. Maggie erinnerte mich an Grace Mary Goodfield, und ich musste wieder an ihre einfühlsame Art und ihre vernünftigen Schuhe denken und den Besuch, den sie uns für Februar versprochen hatte. Ich dachte daran, wie gut sie sich mit Ginger verstanden hätte, Ginger, die Tapfere. Ich fing an, eine Geschenkliste zu schreiben– ein Monokel für Arthur, das hatte er sich schon immer gewünscht–, und als ich mir das notierte, fiel ein Schatten auf die Seite meines Notizbuchs. Ich dachte, es sei eine draußen heraufziehende dunkle Wolke. Ich wartete einen Moment, dass sie vorbeizog, aber sie verschwand nicht, sie rührte sich nicht vom Fleck.
    Und als ich aufblickte, war sie da.
    Das Pummelige aus früheren Jahren war verschwunden, das widerspenstige Haar, hinter dem sie ihre Schande verborgen hatte, die Klamotten, in die sie nie ganz hineingewachsen war. All das war nun einer stillen
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