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Als gaebe es kein Gestern

Als gaebe es kein Gestern

Titel: Als gaebe es kein Gestern
Autoren: Kirsten Winkelmann
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schlief – obwohl sie eigentlich gar nicht wusste, warum. Sie gehörte nicht in dieses Bett. Sie gehörte nicht einmal in dieses Haus. Da passte die staubige, dunkle Enge hier unter dem Bett schon besser zu ihr. Sie hatte viel Ähnlichkeit mit einem Sarg und die Frage war ja auch … ob sie überhaupt am Leben war. Und wenn ja, welche Rolle spielte es …?
    Um ihre innere Wut irgendwie loszuwerden, stemmte sie den Lattenrost ein paar Zentimeter in die Höhe, ließ ihn wieder fallen und drückte ihn ein weiteres Mal nach oben. Dabei wurde ihr klar, dass sie wieder an dem gleichen Punkt war wie damals, als sie mit voller Absicht über die Klippe in die Tiefe gefahren war …
    Links neben ihr klatschte irgendetwas auf den Fußboden.
    Sie wandte den Kopf.
    Direkt neben ihr lag etwas. Ein kleines dunkles Heft oder Buch …
    Sie ließ den Lattenrost los und griff danach. Der Einband war weich und bestand aus schwarzem, rauem Plastik.
    Neugierig schlug sie das Büchlein auf. Es enthielt handschriftliche Notizen, die hier unten in der Dunkelheit allerdings nicht gut zu lesen waren.
    Der Strom ihrer Tränen versiegte im Meer ihres Interesses. Sie wischte mit dem Ärmel über ihre nassen Wangen und rutschte zügig unter dem Bett hervor. Dann drehte sie sich kurzerhand auf den Bauch und vertiefte sich in das kleine Büchlein. Sie begann ganz vorne, beim ersten Eintrag. Die Handschrift, die sie dort vor sich sah, war leicht zu lesen. Sie bestand aus Tinte und hatte einen weichen, weiblichen Schwung. Ob das ihre eigenen Eintragungen waren?
    Sie fing an zu lesen.
    Liebes Tagebuch,
    heute ist der 17. August. Ich beginne dieses Büchlein in der Hoffnung, dass ich in dir jemanden finde, der mir zuhört. Jemanden, der schweigt, wenn ich spreche. Der mich nicht unterbricht, wenn ich davon erzähle, wie herrlich Blumen duften, der mich nicht an die Arbeit treibt, wenn ich mit Nellie spazieren gehen will. Es ist mir egal, dass du nicht wirklich lebst. Die, die leben, sind nicht besser. Die, die leben, scheinen nicht zu glauben, dass ich es auch tue. Sie scheinen mich nicht zu hören, nicht zu sehen, nicht zu verstehen. Bin ich Luft? Ein Geist, der sich auf diese Erde verirrt hat?
    Heute war Henning wieder hier. Er hat Papa bei der Reparatur des Maishäckslers geholfen. Eigentlich ist er nett. Jedenfalls hat er immer gute Laune. Mama und Papa wollen, dass wir heiraten. Aber sie fragen mich nicht, ob ich es auch will. Eigentlich will ich nicht. Er sagt, dass er mich liebt, aber in Wirklichkeit liebt er Werder Bremen. Wenn er einen Fußball sieht, leuchten seine Augen. Wenn er mich sieht, sehen sie gelangweilt aus. Wenn ein Tor fällt, springt er in die Höhe, dreht sich im Kreis und schreit wie ein kleines Kind. Wenn er mich sieht, sagt er „Hallo“ und ringt sich ein Lächeln ab. Noch nie hat er Zeit mit mir allein verbracht. Wenn wir zusammen waren, hat er sich immer ein Programm ausgedacht. Wir waren ein paarmal im Kino, haben mit seinen Eltern Kaffee getrunken oder gemeinsam gearbeitet. Aber wir waren noch nie gemeinsam essen oder so was. Ich frage mich, ob ihm der Gedanke, einen ganzen Abend nur mich anzusehen, Angst macht. Vielleicht ist es so. Sicher findet er mich langweilig. Aber ich rede nur deshalb nicht, weil mir niemand in die Augen sieht. Ich lache nicht, weil mir niemand schöne Dinge erzählt.
    An dieser Stelle ertönte ein sanftes „Plopp“. Es stammte von einer Träne, die aus Livias Augen mitten auf ihr kleines Tagebüchlein getropft war. Nein, es gab absolut keinen Zweifel, dass das hier ihr Tagebuch war, ihr Herz, das sprach … Vielleicht war sie viel mehr Angelika, als sie es jemals für möglich gehalten hätte …
    Um ihre Eintragungen zu schützen, wischte Livia die Träne eilig ab. Und vorsichtshalber rieb sie auch noch einmal über ihre Augen … Dann las sie eilig weiter. Es folgten viele Geschichten aus ihrem Alltag, Beschreibungen der Treffen mit Henning, aber auch viele Streitgespräche, die sie mit ihren Eltern oder Jan geführt hatte. Oft tauchte auch das Blumenbeet darin auf. Vor allem ihrer Mutter war es wohl ein Dorn im Auge gewesen. Ihr Vater hingegen hatte zumeist vermittelt und darauf hingewirkt, dass sie es behalten durfte.
    Und dann kam folgende Passage:
    Was würde wohl passieren, wenn ich Henning einen Korb gäbe? Mama würde natürlich im Dreieck springen. Und Papa? Wenn ich es mir recht überlege, hab ich der Hochzeit seinetwegen zugestimmt.
    Livia hob erstaunt die Augenbrauen.
    Ich wollte
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