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Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Titel: Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
Autoren: Caroline Vermalle
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durcheinander ...«
    Und ehe Madame Tricot sagen konnte: »Und was ist mit Ihrer Cousine?«, lief Nane schon auf das Haus zu.
    »Kinder!«, schrie sie. »Kommt her, alle ins Auto. Schnell, schnell, schnell! Los, beeilt euch! Conrad, Fleur, steigt sofort in Omas Auto. Matthis, sieh nach, wo Lolotte ist. Philémon, Philémon! Komm da runter! Ryan, Philémon, ich warne euch. Wenn Oma euch suchen muss, weiß ich schon, wer ordentlich den Hintern versohlt kriegt.«
    Nachdem Nane zehn Minuten später die Heldentat vollbracht hatte, sechs Kinder zwischen sechs und elf zusammenzutrommeln, kletterten alle in den alten R5. Zwei saßen vorne und vier hinten, und Nane, die das Handy ans Ohr drückte, saß am Steuer. Mit Vollgas fuhr sie inmitten einer Staubwolke aus der Rue de la Forge heraus. Sie rasten nach Port-Joinville, überfuhren ein paar Stoppschilder und versetzten holländische Fahrradfahrer in Angst und Schrecken. Schließlich kamen sie in dem kleinen Krankenhaus an. Nane wartete, bis alle Kinder auf der Bank in der kleinen Eingangshalle saßen, und sprach dann mit dem Arzt.
    »Wird er durchkommen?«, fragte Nane.
    »Das ist schwer zu sagen«, meinte der Arzt. »Wenn seine Temperatur in den nächsten Stunden nicht über 36°C steigt ... mit sechsundsiebzig Jahren ... dann sehe ich schwarz. Die Fischer, die ihn im Hafen aus dem Wasser gezogen haben, sagen, dass er von Notre Dame de Monts hergeschwommen ist. Um auf so eine Idee zu kommen, muss man allerdings schon ein bisschen plemplem sein.«
    Kurz darauf rannte Arminda gefolgt von Bruno ins Krankenhaus. Sie nahmen die Enkelkinder mit, sodass Nane das Zimmer 12 nun betreten konnte. Marcel war bewusstlos. Nane ging um das Bett herum und setzte sich seufzend auf den Stuhl am Fenster. Fassungslos betrachtete sie diesen Geist mit der blauen Haut, der auf dem Bett lag und aus dessen Körper ein paar Schläuche herausragten.
    »Da bist du also«, sagte Nane und verstummte.
    »Stimmt es, dass du tausend Kilometer zurückgelegt hast und die letzten neunzehn geschwommen bist?«, fuhr sie nach einer Weile fort. »Ja, mein Lieber, ich muss schon sagen, du bist wirklich ein toller Hecht. Da wäre es doch bekloppt, jetzt schlappzumachen, oder? Du hast die ganze Strecke zurückgelegt, das war eine echte Meisterleistung. Da willst du doch wohl jetzt nicht ins Gras beißen?Ich habe einen Haufen Enkelkinder, und ich bin sicher, wenn sie deine Geschichte hören, sind sie endlich mal still.«
    Nane erhielt keine Antworten auf ihre Fragen. Sie schaute aus dem Fenster. Alles ging seinen gewohnten Gang, als wäre nichts geschehen. Sie beobachtete ein junges Pärchen auf Fahrrädern, das mit hilflosen Mienen auf eine Straßenkarte schaute und dann eine alte Dame ansprach, um sie nach dem Weg zu fragen. Nane musste lächeln, als sie sah, dass die alte Dame die jungen Leute, die ihren Weg schnell fortsetzen wollten, in ein Gespräch verwickelte. Schließlich seufzte Nane und drehte sich wieder zu Marcel um.
    »Es ist nicht besonders lustig, sich mit dir zu unterhalten. Ich kenne Tote, die sind gesprächiger als du. Oder aber du bist wirklich tot.«
    »Ich habe sie gesehen«, sagte Marcel leise.
    »Was? Wen hast du gesehen?«, fragte Nane und stand auf.
    »Ich habe sie im Meer gesehen.«
    »Wen hast du gesehen? Den heiligen Petrus? Den kleinen Jesus?«
    »Die Eltern meiner Frau«, murmelte Marcel.
    »Oh, Scheiße«, flüsterte Nane.
    »Sie standen vor mir zwischen den Wellen und schauten mich dumm an.«
    »Na hör mal! Es sind immerhin deine Schwiegereltern. Warte, ich rufe den Arzt. Ich glaube, das Wasser hat dein Gehirn geschädigt.«
    »Mein ganzes Leben«, fantasierte Marcel in einem theatralischen, fast ein wenig lächerlichen Ton, während er seine fiebrigen Augen auf Nane richtete wie auf einen Rettungsanker. »Mein ganzes Leben haben sie mich verfolgt. Ich wusste gar nicht mehr, dass sie es waren. Ich habe sie auch unterwegs auf der Straße und in der Loire gesehen. Sie sagen immer dasselbe zu mir. Dass ich nichts wert bin. Und ich habe sie in den Wellen gesehen. Sie waren da. Ich konnte sie berühren. Sie waren da und haben es mir wieder gesagt.«
    Nane wollte eine Schwester rufen, aber dann sagte sie sich, dass es sicherlich zu spät war. Er fantasierte, und sie musste dafür sorgen, dass er weitersprach. Vielleicht hielt ihn das am Leben.
    »Und was hast du gemacht, als du sie gesehen hast?«
    »Nichts«, erwiderte Marcel. Das Fieber schien allmählich nachzulassen, und er wurde
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