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Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman

Titel: Als das Leben ueberraschend zu Besuch kam - Roman
Autoren: Caroline Vermalle
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etwas ruhiger. »Ich bin zurückgegangen. Was sollte ich sonst tun?«
    »Wohin denn?«, fragte Nane ungläubig.
    »Zurück in die Wellen.«
    »Aber vorher hast du deinen Geistern doch bestimmt einen Tritt in den Hintern verpasst«, meinte Nane lachend.
    »Bist du die Cousine Nane?«, fragte Marcel, der wieder zu sich zu kommen schien.
    Nane nickte.
    Marcel schloss die Augen. »Dann bin ich hier richtig.«
    »Ich will dir deine Hoffnungen nicht rauben, mein Lieber, aber du siehst nicht gerade aus wie jemand, der am richtigen Ort ist.«
    Nane setzte sich wieder hin. Ein paar Sekunden herrschte Schweigen, und dann lachte sie leise. Marcel öffnetefragend die Augen.
    »Das ist schon komisch«, sagte Nane kichernd.
    »Was denn?«
    »Ich kenne dich überhaupt nicht, und jetzt liegst du hier halb tot und erzählst mir, dass du in deinen letzten Augenblicken meine Tante Cécile und meinen Onkel Edmond gesehen hast. Und dann sagen sie auch noch, dass du nichts taugst? Wirklich ein starkes Stück.«
    Marcel erwiderte nichts. Nane sah an seinem Blick, dass er nichts verstand.
    »Mein Lieber«, fuhr Nane fort. »Wenn du sie nämlich so gut gekannt hättest wie ich, wüsstest du, dass das wirklich komisch ist. Tante Cécile und Onkel Edmond haben ihr Leben im Schatten eines Helden verbracht. Ein Held der Résistance, mit einer Medaille ausgezeichnet, gefallen für Frankreich auf dem Feld der Ehre und was sonst noch alles dazugehört. Stell dir vor, das war mein Vater. Der große Bruder von Edmond. Und auch meine Mutter hat für das Vaterland Heldentaten vollbracht. Mir ist es völlig egal, dass meine Eltern Helden waren. Im Übrigen wäre es mir lieber gewesen, sie wären keine Helden gewesen, weil sie dann vielleicht meinen zwölften Geburtstag erlebt hätten, anstatt sich abmurksen zu lassen. Das ist mein Schicksal. Was will man machen. Jedenfalls ist es in den großen Familien genauso wie in den kleinen, Marcel. Es gibt Helden, und es gibt die anderen. Und Edmond und Cécile Darginay de Boislahire gehörten zu den anderen. Das war ihr Schicksal. Sie waren keine schlechten Menschen. Aber stell dir vor, du musst dir dein ganzes Leben lang ständig anhören: Sind Sie derHeld der Résistance? Nein, das war der andere. Auch wenn es der Bruder war, bekommst du nicht viel von seinem Ruhm ab, und egal was du in deinem Leben machst, nichts davon wird Bestand haben. Abgesehen davon hat Edmond ohnehin nicht viel geleistet in seinem Leben. Natürlich sind deine Schwiegereltern dennoch in der Familiengruft in Montrie beigesetzt. Unter dem Namen meines Vaters sind französische Fahnen und Zitate in den Stein gemeißelt, und manchmal kommen Leute vorbei und legen Blumen aufs Grab. Und auf dem Grab von Edmond und Cécile? Der Wind. Sonst nichts. Und dann steigen meine Tante und mein Onkel an einem stürmischen Tag aus dem Wasser, um dir zu sagen, dass du nicht würdig bist, zu ihrer Familie zu gehören? Das finde ich wirklich zum Schießen.«
    Marcel schwieg. Das war nicht die ganze Wahrheit. Er hatte noch ein anderes Gesicht in den Wellentälern gesehen: seins. Das Gesicht seines schlimmsten Feindes. Nane lachte nicht mehr, als wüsste sie es. Sie blickten beide auf die Wolken, die man zwischen den Vorhängen über den Himmel ziehen sah. Marcel zog die Decke hoch und hustete. Nane sprang auf.
    »Wir sollten diese alten Geschichten nicht aufwärmen. Ich nehme an, du bist nicht den ganzen Weg geschwommen, um mit mir über meine Vorfahren zu sprechen. Wolltest du dir die Insel anschauen?«
    »Jacqueline«, sagte Marcel.
    »Das dachte ich mir. Aber wie ich dir schon gesagt habe, bist du hier nicht am richtigen Ort.« Und nach einer Pause fügte sie hinzu: »Sie ist abgereist.«
    »Wohin?«
    »Weit weg.«
    »Weißt du«, sagte Marcel, »nachdem ich tausend Kilometer hinter mich gebracht habe, hat der Begriff weit für mich eine völlig neue Bedeutung bekommen.«
    Nane seufzte.
    »Du wirst es mir nicht glauben, aber sie hat mir nicht gesagt, wohin sie gegangen ist.«
    Marcel schüttelte den Kopf. Das glaubte er ihr unbesehen. Jacqueline zog andere definitiv nicht gerne ins Vertrauen.
    »Jacqueline ist nach New York geflogen«, flüsterte eine leise Stimme neben der Tür.
    »New York?« Marcel kniff die Augen zusammen und schaute auf den kleinen Jungen, der gerade das Zimmer betreten hatte. Es war Matthis.
    »Manhattan«, erklärte Matthis stolz und musterte den ulkigen Vogel, der den Ozean durchquert hatte, durch seine kleine blaue
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