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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel
Autoren: Christine Lehmann
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    »Das Totenhemd hat keine Taschen«, bemerkte ich. »Irgendwas ist immer übrig, und wenn es ein Siegelring ist. Meine Mutter hat früher bei uns im Dorf die Toten gewaschen. Als ich ein kleines Kind war, musste ich immer mit. Wo hätte sie mich auch sonst lassen sollen? Ich habe dann das Geld gesucht, in Keks- und Zuckerdosen, in der Wäsche, unter der Matratze. Von dem, was ich fand, behielt meine Mutter den Zehnten. Den Rest gab ich bei den Verwandten ab, und wenn die mir Finderlohn gaben, dann sagte ich artig danke.«
    Der Wagen wackelte kurz, denn Richard schüttelte sich.
    »Tja, wir Katholiken haben halt doch ein lustvolleres Verhältnis zum Geld als ihr. Wir verschwenden es für Totenmessen und damit die Kirche funkelt, während ihr Pietisten es spart, damit Gottes Gnade ein bisschen glitzert.«
    »Der Wohlstand auf der Zollernalb hat mit Pietismus nichts zu tun, sondern mit der Realteilung.«
    »Aha. Und was wäre dann eine Irrealteilung?«
    »Die heißt Anerbe, Lisa. Da kriegt den Hof nur einer der Kinder. Bei der Realteilung wurde der Hof dagegen aufgeteilt. Die Folge war eine heillose Zerstückelung von Land, bis es keinen mehr ernährte. In allen Gegenden mit Realteilung hat sich Handwerk entwickelt. Im Schwarzwald – erzkatholisch – die Uhrenindustrie, in der Pfalz die Schuhindustrie und auf der Zollernalb die Waagenindustrie. Als 1871 das Deutsche Reich gegründet wurde, kamen über achtzig Prozent aller geeichten Waagen von der Zollernalb. Auch in Frommern, heute ein Teilort von Balingen, hatte der Mechanicus Gottlieb Weber eine Werkstatt zum Bau von Balkenwaagen gegründet. Außerdem hat er ein Andachtsbuch geschrieben und Stunden gehalten.«
    »Was?«
    »Stunden! Das waren Zusammenkünfte zu Hause – nach Geschlechtern getrennt –, bei denen man die Predigt besprach, die Bibel las und betete. Auch mein Vater hat noch Stunden gehalten.«
    »Nach Geschlechtern getrennt?«
    »Eher für Jugendliche. Er kann die Bibel so anschaulich erklären, hieß es immer. Mit mir hat er sich da vielleicht weniger Mühe gegeben. Aber so ist das ja oft. Der Prophet gilt nichts im eigenen Haus.«
    Hinter Hechingen tauchte in der Flucht der Schnellstraße zwischen zwei Tankstellen die Burg Hohenzollern auf. Sie saß mit sechs gespitzten Türmen auf ihrem bewaldeten Kegelberg wie eine Fregatte unter Segeln auf hoher See.
     

3
     
    Balingen wurde von Autotrassen mit Leitplanken stranguliert. Wir passierten die weiße Wand des alten Fabrikgebäudes von Bizerba mit Türmchen und Mobilfunkantenne obenauf. Die Firma des einstigen Mechanicus Andreas Bizer in Balingen hatte die Umstellung auf elektronische Waagen geschafft. Wer auch immer in einem Supermarkt sein Beutelchen Äpfel auf eine Obstwaage legte und das Preisschildchen auf die Tüte klebte, hatte es mit einer Waage von Bizerba zu tun. Auch mal ein gutes Thema für Schwabenreporterin Lisa Nerz.
    Die Schnellstraße entführte uns zwischen Hügel und Wiesen mit Pappeln. Leitplanken und querende Brücken verstellten den Ausblick auf die sich aufhügelnde Schwäbische Alb. Frommern empfing uns mit Flachdächern futuristischer Gewerbebetriebe. Ihnen folgten die Produktionsstätten zwischen Vorgestern und Annodunnemals. Ein Blechschild erinnerte an Möbel Erhard oder erinnerte nicht, sondern hoffte noch immer auf Kunden. An der Ecke das Backhaus Mahl mit Stehcafe. Alte Bauernhäuser, deren Fachwerk verputzt worden war, giebelten zur Dorfstraße hin, hier eine Betongarage mit Wellblech, dort ein Stapel Holz. Weiter drüben gipfelte der Ort in einer weißen Kirche mit einem massiven achteckigen Turm und roter Tüte. Richard blieb auf der Hauptstraße. Ein Komplex gestutzter Hochhäuser vom Charme randstädtischer Problemzonen beherrschte eine weitläufige Kreuzung. Wo die Landstraße dem nächsten Ort zustrebte, verfiel ein Fabrikgebäude. Die Fenster waren blind und zum Teil in Scherben. Zusammen mit dem schwärzlichen Putz fielen die verblasste Nachkriegsaufschrift »Weber-Waagen« und das Zeichen zweier ineinandergehäkelter Ws von der Wand und entblößten Ziegel. Auch ein späterer Schlossereibetrieb, der sich ein Blechschild geleistet hatte, war längst weggerostet. Etwas zurückgesetzt stand links daneben das Fabrikantenhaus. Der Vorgarten war mit Koniferen besetzt. Eine gepflasterte Einfahrt führte hinters Haus, links die Garage, rechts ein Gärtchen mit Rasen, Rosen, Oleandertöpfen auf einer Terrasse und einer Eibenhecke. Richard fuhr bis zum Zaun
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