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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel
Autoren: Christine Lehmann
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köcheln ließ, in die Augen seines Hechinger Kollegen, der verwirrt den Blick senkte. Ich ahnte plötzlich, wem es heute Abend in der Wielandshöhe hatte an den Kragen gehen sollen. Und zwar im Schutz einer Morddezernentin und eines Kriminalkommissars und in Anwesenheit der Presse in Gestalt meiner Extravaganz.
    »Ja«, rief Meisner, »fahren Sie nach Balingen, Herr Dr. Weber. Ihre Mutter braucht Sie jetzt.« Sie griff nach ihrer Handtasche.
    »Nein, bitte bleiben Sie doch, Frau Kollegin, meine Herren!« Richard panzerte sich wieder mit Dreiteilerhöflichkeit. »Lassen Sie sich den Abend nicht verderben. Genießen Sie Vincents Köstlichkeiten. Sie sind selbstverständlich von mir eingeladen, auch wenn ich bedauerlicherweise nun nicht dabei sein kann.«
    Christoph Weininger konnte seine Befriedigung nur unvollkommen verbergen.

 

2
     
    »Als ob ich’s gespürt hätte«, sagte er, als wir in seinem diplomatendunklen Mercedes südwärts aus Stuttgart hinausfuhren. »Ich musste vorhin urplötzlich an meinen Vater denken. Die Glocke der Haigstkirche schlug gerade sechs.«
    Das Übersinnliche widerstand dem Gebläse der Klimaanlage und baute sich zwischen uns auf.
    »Er hat das ewige Leben, dachte ich. Wahrscheinlich hat Gevatter Tod Angst, dass er auf die Uhr tippt und ihn anfährt: ›Du kommsch zu spät, jetzt kriegsch mi nemme! Da hätsch bälder uffstehe müsse.‹« Er lachte.
    »Hast du ihm verziehen?«, erkundigte ich mich.
    »Ich wüsste nicht, was. Er war doch auch nur ein Gefangener seiner Weltanschauung. Wie wir alle.«
    »Lieblosigkeit«, schlug ich vor. »Das könntest du ihm vorwerfen. Dass er sich nie für dich interessiert hat. Dass es ihm egal war, wer du bist und was du treibst.«
    Richard knurrte. Seine eigenen Gefühle hatte er schon immer für zu nebensächlich gehalten oder für zu eindeutig, um darüber nachzudenken oder gar darüber zu reden. »Es war ihm nie egal, was ich tue. Im Gegenteil!«
    Seine Hände lagen ruhig auf dem Lenker der schweren Limousine. Wir rasten über die Filderebene auf den dunkelblauen Riegel der Schwäbischen Alb zu. Die sinkende Sonne glühte mir durchs Seitenfenster ins Ohr und warf die Schatten der Bäume auf vergilbte Wiesen. Die Getreidefelder waren schon geschoren, der Mais stand noch, wenn auch kümmerlich infolge der Hitze, das Filderkraut spitzte sich schon.
    »Wann warst du zuletzt bei deinen Eltern?«, fragte ich, als wir uns durch Tübingen fädelten, nicht weil es mich interessierte, sondern um den Mann am Reden zu halten, der andernfalls in autistisches Schweigen versunken wäre.
    »Zu Pfingsten. Es war saukalt. Mein Vater hatte noch kein Heizöl wieder gekauft. Der Kälteeinbruch hatte ihn überrascht. Und schon immer hat er das Öl im Sommer gekauft, ungeachtet aller Nahostkrisen.«
    »Klingt nach Geizkragen«, bemerkte ich. »Leben nicht in Balingen die meisten Millionäre?«
    »Nein. Und mein Vater wollte nie reich sein, er war nur sparsam.«
    »Alte pietistische Schule. Man gönnt sich ja nix.«
    »Nichts wider Gott, nichts wider das Gewissen und nichts wider die Liebe des Nächsten. Das war sein Lebensgrundsatz.«
    Mir grauste.
    »Er war ein Unternehmer alter Schule. Ein Patriarch. Geschafft hat er nicht für sich, sondern für die Firma. Das Geld, das ihm seine Leute erwirtschafteten, hat er wieder investiert. Bei Weber-Waagen gab es nie einen Betriebsrat. Mein Urgroßvater, Carl Weber, hatte Krankenversicherung und Acht-Stunden-Tag schon eingeführt, ehe Bismarck auf die Idee kam, mit seiner Sozialgesetzgebung den Sozialisten das Wasser abzugraben.«
    »Und warum gibt es Weber-Waagen nicht mehr?«
    »Mein Vater hat die Umstellung auf elektronische Waagen verpasst. Er war kein Tüftler wie mein Großvater Heinrich. Der hat nach dem Ersten Weltkrieg die Neigungsschaltgewichtswaage entwickelt. Du kennst sie von früher aus den Kaufläden: eine Platte, eine Grammskala und ein Schalter, mit dem man die Kilos umstellen konnte. Neu daran war, dass man das Gewicht der Ware direkt ablesen konnte. Doch weil die Gewichte verborgen waren, durfte man sie nicht öffentlich verwenden. Erst die Besatzungsmächte haben nach dem Krieg diese Regelung aufgehoben, und die Neigungsschaltgewichtswaage trat ihren Siegeszug über die Welt an. Dann kamen die elektronischen Waagen, und Anfang der Neunziger musste mein Vater dichtmachen.«
    »Und was erbst du jetzt?«
    »Lisa, er ist noch nicht einmal kalt!« Auf Geldfragen reagierte Richard noch kopfscheuer als auf
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