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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel
Autoren: Christine Lehmann
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vor. Dahinter fiel ein Hang mit verwildertem Gebüsch hinunter in ein Tal, dessen Grund man nicht sah. Eine Reihe dunkler Pappeln markierte den Lauf der Eyach. Das Geblöke von Kühen quoll herauf. Mücken spielten in der Dämmerung. Es herrschte Land. Es war weniger heiß, aber kühl war doch anders.
    Cipión begegnete den fremden Gerüchen der Welt, in die das Auto ihn versetzt hatte, indem er seine Duftmarke in eine Konifere pinkelte.
    Das Haus hatte zwei Stockwerke, Erker und spitzbogige Fensterstürze aus Schwarzjurasandstein.
    Richard klingelte.
    Nach einer Weile öffnete ein kaum achtzehnjähriges Mädchen mit rotblonder Mähne, dunklen Knopfaugen und einem verwaschenen Mund.
    »Hallo, Jacky«, sagte Richard.
    »Hallo, Onkel Richard«, antwortete die Landschönheit mit einem halben Lächeln und naturspitzer Stimme. »So schnell sieht man sich wieder.« Sie drehte sich um und zeigte uns einen hübschen Hintern in hüftig verschlissenen Jeans.
    Wir betraten ein Vestibül mit Schmuckparkett und Treppe. An den Wänden verloren sich eine Ablagekommode, eine Garderobe und ein paar Stühle. Es roch nach Pfefferminztee – oder bildete ich mir das nur ein? – und sauren Gürkchen.
    »Richard ist da«, hörten wir Jacky irgendwo mit unwesentlich gedämpfter Schrillstimme vermelden. »Er hat eine Tunte mit Dackel dabei.«
    Eine gebeugte magere Frau mit weißem Dutt und tief in den Höhlen funkelnden grauen Augen kam herbeigeeilt. »Richard! Du bist schon da!«
    Mutter und Sohn gaben sich die Hände. Bereits das schien sie in Verlegenheit zu setzen. Familiäre Frigidität war mir als Unterschichtkind unverständlich. Meine Mutter hatte immer sofort zugelangt. Da wusste man, woran man war. Mit einem wie Richard konnte man womöglich jahrelang seine Scherze treiben im Irrglauben, ihm gefiele es, bis er eines Tages mit der Armeepistole seines Vaters auf einen abdrückte.
    »Wir haben noch gar nicht mit dir gerechnet«, sagte die Mutter und musterte mich aus den Augenwinkeln. Im Grunde hatte sie sich ja auch reichlich Zeit gelassen mit ihrem Anruf.
    »Ich bin natürlich sofort losgefahren.«
    Ich hätte vielleicht doch nicht mitfahren sollen.
    »Dann kommsch ja noch zurecht zur Aussegnung«, bemerkte sie. »Pfarrer Frischlin wird sie machen. Und du, was bisch du für einer?«, fragte die alte Dame mit dem Blick nach unten auf Cipión, der in Richtung Küche zerrte. »Wir hatten ja nie Dackel. Die graben nur die Blumen aus. Das steckt ihnen in den Genen. Erinnerst du dich an unsere Anka, Richard? Das Deutsche Kurzhaar? Ach nein, da warst du ja schon in Argentinien. Der ist doch stubenrein, oder?« Sie blickte ihren Sohn vorwurfsvoll an.
    »Mama, das ist Lisa Nerz. Lisa, das ist meine Mutter, Lotte Weber.«
    »Lisa? Was für ein komischer Name.«
    Fand ich eigentlich nicht.
    »Hasch dich im Dienstwagen bringen lassen?«, erkundigte sich Lotte bei ihrem Sohn. »Recht hasch. Der Vati braucht seinen ja nun nicht mehr, und ich kann ihn nicht fahren.«
    Im Grunde konnte man ihr den Irrtum nicht verdenken. Ich hatte mich in der Hetze nicht mehr umziehen und eine Reisetasche packen können. Ich hatte nur meinen hellgrünen Schlips in die Jackentasche gesteckt.
    »Uniformen sind wohl nicht mehr in Mode«, bruddelte sie. »Dabei hat das den Vorteil, dass man den Chauffeur nicht aus Versehen in den Salon bittet. Darf man Ihnen was zu trinken anbieten, bevor Sie wieder fahren? Wenn Sie einfach in die Küche durchgehen würden.«
    »Mama, das ist nicht …«, versuchte es Richard müde.
    »Ergebensten Dank, Frau Ingenieurin«, unterbrach ich ihn mit einer leichten Verbeugung.
    Lottes Blick geisterte flüchtig über mich hinweg und nagte sich wieder an ihrem Sohn fest. »Und nun möchtest du sicherlich erst einmal zum Vati hinauf.«
    Richard warf mir einen bittenden Blick zu. Also nahm ich Cipións Leine kurz und folgte den beiden die Treppe hinauf. Ein roter Teppich bedeckte die knarrenden Stufen. In den mit Tiffanyglas bestückten Rundbogenfenstern verlosch das Licht.
    »Wir lassen ihn die Nacht voll hier«, erklärte Lotte. »Auch wenn ich nicht weiß, wo ich mich heute Nacht hinlegen werde. Ich habe Jacqueline gebeten, dein Bett zu beziehen.«
    Hatte sie etwa all die Jahre, auch die, in denen Richard keinen Kontakt zu seinen Eltern gehabt hatte, sein Kinderzimmer konserviert?
    »Bitte keine Umstände, Mama. Wir können auch in ein Hotel gehen.«
    Sie ignorierte sein Wir. »Aber das macht doch keine Umstände! Sonst heißt es wieder,
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