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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel
Autoren: Christine Lehmann
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Ermittlungsverfahren wieder aufnehmen, so werden sich Indizien finden lassen.«
    Und ein Beweisstück gab es doch schon! Fast hätte ich es nach vorn gerufen. Ich trug es seit vergangenem Freitag mit mir herum, eingefaltet in den Beipackzettel aus einer Schachtel Paracetamol aus Lottes Nachttischschublade: den Dreck von Martinus’ Fingernägeln. Er musste Hautpartikel von Jannik enthalten und Splitter der Zaunpfähle und Fasern der Elektroseile.
    »Außerdem gibt es wenigstens zwei Zeugen, die meinen Vater gesehen haben, wie er die Leiche von Paul Filser auf das Feld trug, wo der Mähdrescher stand. Und einer davon bin ich selbst.«
    »Dann war es also doch dein Vater, den wir gesehen haben!«, brach es aus Barbara hervor. »Mir war damals so. Aber weil du nichts gesagt hast … Ich dachte, ich hätte mich geirrt.«
    Ein böses Knarren ging durch die Reihen, das Stöhnen nahm Lynchtendenz an.
    »Ich selbst«, wandte sich Richard an die Gemeinde, »habe erst vor kurzem, vor vier Tagen genauer gesagt, gelernt, meine Erinnerung an etwas, was ich als vierzehnjähriger Junge gesehen hatte, richtig zu deuten. Und zwar dank des unerbittlichen Scharfsinns meiner … meiner bisherigen Lebensgefährtin, der Journalistin Lisa Nerz.«
    Seine Augen blitzten. Er musste mich schon lange an meinem Salomopfeiler ausgemacht haben und schaute mich jetzt sekundenkurz an.
    »Zu diesem Zeitpunkt dachte ich noch, dass sich das notwendige Geständnis meines Vaters in einer der Waagen versteckt befinden müsse, die er dem Waagenmuseum überlassen hatte.«
    »Darum!«, brach es aus Zittel hervor.
    »Meine eigenen Gefühle sind irrelevant und überflüssig angesichts des unermesslichen Leids, das mein Vater über so viele Familien gebracht hat. Ich vermochte ihn der Taten nicht zu bezichtigen, solange ich keinen Beweis dafür hatte. Aber erlauben Sie mir, Ihnen zu versichern, dass ich diese vier Tage in unaussprechlichem Entsetzen verbracht habe, zwischen Angst und Scham und verzweifelter Hoffnung, dass ich mich irre, bis ich heute Morgen dann dieses Geständnis in den Händen hielt, wiederum dank der Unerbittlichkeit von Frau Nerz. Sie hat mich gezwungen, der Wahrheit ins Auge zu sehen. Als einzige Entschuldigung für mein Zögern kann ich anführen, dass ich meiner Mutter …«, seine Stimme brach kurz, »die Hölle ersparen wollte, durch die sie jetzt – völlig schuldlos, wie ich glaube – gehen wird.«
    Nie war ein Ort auf der Welt stiller gewesen als diese Kirche.
    »Mein Vater hat sieben junge Männer ermordet. In seinem Größenwahn hat er damit auch den Glauben eines jeden aufrichtigen Christenmenschen verhöhnt. Seine Schamlosigkeit ging so weit, dass er eine unserer wichtigsten religiösen Handlungen, unsere Fürbitte für die Toten, für seine unerträglich mit Bibelzitaten unterfütterte Selbstrechtfertigung missbrauchen wollte. Noch ein zweites Mal wollte er Leid über die Familien seiner Opfer bringen, indem er sie an seinem Grabe von unserem arglosen Herrn Pfarrer Frischlin namentlich hätte als Sünder nennen lassen, die er, mein Vater, gerichtet hat. Er hat sogar auf eine Wiederaufnahme der Ermüdungen gedrängt, nur damit den Familien der Opfer bewusst wird, dass ihre Söhne sterben mussten, weil sie homosexuelle Neigungen zeigten, die mein Vater bedrohlich fand und für die er den Eltern eine Mitschuld gab.«
    Eine Bank knarzte. Barbara war aufgestanden.
    Sie war die Erste, die gefolgt von Jürgen, Oma Anna und ihren drei Töchtern die Stadtkirche verließ. Der Blick, den sie über die mit schwarzen Anzügen gefüllten Bankreihen zu mir herüberschickte, war spöttisch und trostlos zugleich. Da ging sie hin in ihre Einsamkeit und ließ mich zurück in meiner.
    Nach und nach leerte sich die Kirche, rasch und schweigend. Zurück blieben die Staatsanwälte, Pfarrer Frischlin, Lotte und ich und ein Journalist vom ZAK. Es wurde ein sehr, sehr langer Tag, den wir hauptsächlich in der Staatsanwaltschaft Hechingen in der Heiligkreuzstraße zubrachten.
     

42
     
    Meine Türklingel überwand ihren Wackelkontakt und schrillte. Ich wartete auf das Geräusch des Schlüssels, den Oma Scheible nach kurzer Schamfrist in meine Tür zu stecken pflegte, um in meine Räume einzudringen, immer mit der Entschuldigung, es habe brenzlig gerochen. Aber es kam nicht. Stattdessen tappte Cipión zur Tür, die flurlos in mein Zimmer führte, und schnüffelte mit steiler Rute am Ritz.
    Ich nahm die Füße vom Tisch, stellte den Fernseher leiser
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