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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel
Autoren: Christine Lehmann
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ich, »dass man nichts vertuscht aus falscher Scham. Er hat gewollt, dass alle …«
    »Ich mache mich doch nicht zum Handlanger meines Vaters, Lisa!«, sagte Richard. »Und solange meine Mutter lebt …«
    Ich sprang ins Grab und haschte nach der Asche. Als ich wieder hochschaute, war Richard aus meinem Blickfeld verschwunden. Die Flammen hatten von Martinus’ Geständnis nicht mehr übrig gelassen als ein zu einem Gedicht zusammengesunkenes Buchstabenoval.
     
    … ottlosen soll
    en Toten und
    r Gerechten
    höhn …
     
    Als Beweis blieb nur noch der Schlüssel zur Gartenlaube, die ebenfalls in Schutt und Asche lag.
    »He! Richard!«, brüllte ich aus meinem Grab heraus. »Hallo! Hilfe!« Um ans Brett oben an der Kante zu kommen, musste ich mich strecken. Die Grube war ihre vollen zwei Meter vierzig tief, damit Lotte, wenn ihr Tag kam, über ihrem Gatten beerdigt werden konnte. Die Totengräber hatten die Wände mit einer grünen Plane verkleidet, die unter den Brettern hervorrutschte, sobald ich mich in sie klammerte. Ja, zum Teufel! Ich war doch sonst nicht so ungeschickt!
    »He, hallo! Hilfe!«, rief ich. »Hilft mir denn keiner?«
    Ein schiefes Männchen in blauen Arbeitshosen blickte über den Rand. »Ja, was machet jetz au Sie do?« Er brachte dann eine Leiter.
     

41
     
    Ich half der abenteuerlustig vor sich hin kichernden Lotte, die Falten ihres schwarzen Kleids auf dem tiefliegenden nuttenroten Ledersitz Brontës zu glätten.
    »Richard kommt dann direkt zur Kirche. Er hat noch kurz was zu erledigen«, hatte ich behauptet, als ich sie durch den Vorgarten führte. Dabei hatte ich keine Ahnung, wo er steckte, ob wir ihn je wiedersehen würden und ob ich, falls ich ihn wiedersah, jemals wieder hinsehen würde. Seine Mutter hatte er gerettet vor einem unvorstellbar beschämenden Pranger. Sich selbst auch. Ich hatte ihm dabei geholfen und mich verraten und Barbara auch, die um ihren Sohn trauerte, und den alten Josef Filser, der vor fünfzig Jahren seinen kleinen Bruder und vor einer Woche seinen Sohn durch dieselbe Hand verloren hatte, und die Eltern der anderen toten Buben, die sich bis an ihr Lebensende fragten: Warum?
    »Aber wie kommt er denn zur Stadtkirche?«, fragte Lotte, als ich am Lenker saß. »Sein Auto steht doch hier?«
    Ach du meine Güte! »Der Trauergottesdienst ist in der Balinger Stadtkirche?«, erkundigte ich mich entsetzt.
    »St. Gallus wäre doch viel zu klein gewesen!«
    Dann aber hurtig! Ich ließ den historischen Motor röhren. Bizerba, Altstadt, Friedrichstraße, keine Parkplätze.
    Ich lud Lotte an der Fußgängerzone aus und schickte Brontë’ suchen. Sie war in solchen Dingen geschickter als ich. Dann wollte Cipión mit dem eigenartigen Gespür der Tiere für unsere Unentschlossenheiten nicht einsehen, dass er im Auto bleiben sollte. Ich setzte mich durch und rannte durch die Gassen.
    Der oktogonale Turm mit der Sonnenuhr von Philipp Matthäus Hahn saß auf dem Chor, der Eingang war hinten herum. Unter dem weißen Netzgewölbe der vorreformatorischen Stadtkirche mit dem lebensgroßen Kruzifix überm Altar waren die Bänke schwarz vor Menschen. Sie füllten das Mittelschiff, sie reihten sich auf seitlichen Bänken und drängten sich auf den Emporen, die in die Seitenschiffe gezogen waren. Es waren Hunderte. Die Orgel setzte gerade ein.
    Ich beugte das Knie und bekreuzigte mich, wie es sich gehörte, im Angesicht der Muttergottes mit dem Kind, die an der vorreformatorischen Kanzel rechts vorn zwischen den abendländischen Kirchenlehrern prangte. Auf dem nachreformatorischen Kanzeldeckel stand der Heiland mit dem Lamm auf der Schulter im Kreis musizierender Putten und der vier Evangelisten. Ich schwenkte ins rechte Seitenschiff.
    Dr. Zittel winkte mir zu und gestikulierte tonlose Worte aus der Bank. Neben ihm saß sein Sohn mit glänzenden Backenschwarten Schulter an Schulter mit seiner mandeläugigen Sprechstundenhilfe Claudia Murschel, die mit akademisch schattierten Adonishintern die Kundschaft der urologischen Praxis an verlorene Freuden erinnerte. Auch der gezähmte Mann mit den gelöcherten Sommerschuhen machte sich durch sein Genicke unübersehbar. Neben ihm Hermine mit den großen blauen Augen. Kromppein wiederum hatte zum Generalstaatsanwalt gefunden und strahlte im zu kleinen Schwarzen vom Zuschnitt eines Konfirmandenanzugs. Der Geschäftsführer von Bizerba, der Bürgermeister, der Ortsrat von Frommern und die Vorsitzenden von Schützen-, Schwäbische-Alb- und
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