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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel
Autoren: Christine Lehmann
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immer die besten Köpfe, die der Neid der andern und ihr eigener Dünkel zu Fall bringen.«
    Frischlin der Jüngste war einen Moment desorientiert.
    »Und davon«, fuhr Richard harmlos fort, »kann ich mich leider selbst nicht ganz freisprechen. Ich habe mich den Plänen, die mein Vater mit mir hatte, nie gebeugt. Deshalb möchte ich jetzt alles richtig machen. Nach sorgfältiger Prüfung aller Umstände bin ich überzeugt, im Sinne meines Vaters zu handeln, wenn ich an seinem Grab seine Rede verlese.«
    Frischlins Bart kräuselte sich schlau. »Gut. Dann werde ich, wie von Ihrem Vater verlangt, den Umschlag am Grab öffnen und den Inhalt an Sie weitergeben.«
    »Sie haben mich falsch verstanden, Herr Pfarrer. Ich fordere Sie auf, mir den Umschlag unverzüglich auszuhändigen.«
    Frischlin lächelte. »Ich hoffe, Sie schlagen hier nicht auch alles kurz und klein so wie im Waagenmuseum, wenn ich Ihrer Forderung nicht nachkomme.«
    »Ich bin zuversichtlich, dass das nicht nötig sein wird.«
    »Entschuldigen Sie«, unterbrach ich den Hahnenkampf, »dürfte ich wohl mal die Toilette benutzen.«
    »Erste Tür im Gang links«, antwortete Frischlin.
    Hinter der Tür auf der anderen Seite des Flurs lag, wie erwartet, Frischlins Arbeitszimmer, ein schmaler Raum, bedrängt von Büchern. Am Fenster stand ein Stehpult mit aufgeschlagener Bibel. Auf dem Schreibtisch hatten Kreuz und Computerbildschirm zueinandergefunden. Die Unterlagen für Trauerfeier und Beerdigung hatte Frischlin schon hingerichtet: Bibel, Gesangbuch, Predigt. Unten lag der Briefumschlag mit der krakeligen Sütterlinbeschriftung. Ich steckte ihn in die Innentasche meiner schwarzen Jacke, kehrte in den Flur zurück und öffnete die Tür in der Trennwand zum Wohnbereich. Eine Frau stand in einer hellen Küche und goss Tee ab.
    »Oh, Entschuldigung, ich suche die Toilette.«
    »Draußen, gleich rechts.« Sie war jung und rundlich, hatte das glatte mausblonde Haar nach hinten gesteckt und trug einen naturgefärbten violetten Strickrock und eine malvenfarbene Jacke mit Holzknopf. Unter ihrem Lächeln lag ein unfroher Lebensernst.
    »Guten Morgen, Lisa Nerz ist mein Name.«
    »Ich bin die Inka«, antwortete sie mit von vielfacher Gemeindeneugierde erzwungener Freigebigkeit. »Ich kann leider nicht zur Beerdigung kommen. Ich muss gleich los nach Tübingen. Ich bin Repetitorin am Stift. Wenn ich mit meiner Diss fertig bin, werden Mario und ich heiraten und uns eine gemeinsame Pfarrstelle suchen.«
    »Ah ja. Schön haben Sie es hier. Entschuldigen Sie die Störung.« Ich begab mich auf die Toilette, presste ein paar Tropfen aus meiner Blase, zog die Spülung und klinkte mich ins Gemeindezimmer zurück.
    »Sie vertrauen Ihrem Vater immer noch nicht«, stellte Frischlin gerade fest. »Warum sonst sollten Sie seine letzten Worte vorher lesen wollen?«
    »Das ist eine Sache zwischen meinem Vater und mir. Und wenn Sie den fraglichen Umschlag nicht augenblicklich rausrücken, dann hole ich ihn mir, auch ohne richterlichen Beschluss.«
    »Nicht nötig«, sagte ich. »Ich habe ihn schon.«
    Frischlin fuhr herum.
    »Und jetzt sollten wir deine Mutter holen«, wandte ich mich an Richard.
    »Fahr zum Friedhof«, sagte er, als wir im Auto saßen.
    Ich lenkte Brontë um den Fronhof herum, wo am Todestag von Martinus die Rinder des Nachts Kruppe an Kruppe und Gehörn an Gehörn gestanden hatten, hinten und an den Flanken bewacht von Stieren und vorn geblockt von einer beleidigten Leitkuh, die erst wieder Vertrauen fasste, als Richard das alte Flügelhorn aus seinen Kindertagen ansetzte und spielte. Wie verspielt waren wir da noch gewesen! Maxi mit ihren Beobachteraugen, Jacky mit ihrer Eifersucht auf mich von Anfang an, Jürgen, der Lehrer und Lokalpolitiker mit seinen Witzen, der froschbeinige Vicky, wie er mir das Netzwerk der Bullen erklärt hatte, die milchbusige Henry und ihr Kipf, Bullwinkle und Rocky.
    Kuhdungstille umfing uns, als wir auf dem Parkplatz am Friedhof ausstiegen. Die Stoppeläcker buckelten hinunter zum Wäldchen, das den Fürsten vom Zeitental trennte. Dort schlug die Eyach durchs Tal ihren Bogen, in dem der tote Jannik gelegen hatte. Der Regen der letzten Tage hatte die Spuren verwischt, die die Rinder hier herauf gezogen hatten. Ein Reiher stand auf der Lauer. Die ersten Herbstkrähen pickten sich die Stoppeln entlang. Die Wolken zogen weiter.
    Auf dem Friedhof wartete das Grab für Martinus schon. Bretter lagen an den Grabkanten, die Seile kringelten sich,
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