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Allmachtsdackel

Allmachtsdackel

Titel: Allmachtsdackel
Autoren: Christine Lehmann
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Gewerbevereinen betasteten ihre Brusttaschen und gingen im Geiste die Reden durch, die sie nachher halten würden. Am Sarg, der ein wenig hinter der Kanzel verschwand, lehnten Kränze mit beschrifteten Bändern. Kerzen flackerten. Ein Posaunenchor hatte sich auf der Orgelempore eingerichtet. Das ganz große Besteck!
    In der ersten Reihe erkannte ich Lottes weißen Dutt. Daneben das Silberdrahthaar Barbaras, die Büschel Jürgens und die rotblonden Mähnen der drei Bindertöchter Jacky, Maxi und Henry mit ihrem Kipf auf dem Schoß, das bereits die Ärmchen streckte und sich aufpumpte, um das Ihre zur Totenruhe beizutragen. Auch Oma Anna hatte es sich nicht nehmen lassen, den alten Martinus für alle sichtbar zu überleben. Der Platz links neben Lotte war frei. Aber nicht für mich.
    Da schritt auch schon Pfarrer Frischlin aus den Kulissen herein und trat ans Pult links neben dem Altar. Ich drückte mich an einen der oktogonalen Pfeiler, der auf Kapitelhöhe eine gnomenhaft angemalte Büste des Königs Salomo beherbergte.
    »Wir haben uns hier im Namen Gottes und Jesu Christi versammelt, um Martinus Weber die letzte Ehre zu erweisen«, schallte Frischlins beachtlich tiefe Stimme aus den Lautsprechern. Die Orgel schleppte ein Kirchenlied durchs Schiff. Die Posaunen erschallten.
    »In deine Hände befehle ich meinen Geist«, las Frischlin aus den Psalmen Davids. »Du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott. Die Gottlosen sollen zuschanden werden und hinabfahren zu den Toten und schweigen.«
    Nein!, dachte ich. Aber solange ich keine Beweise hatte …
    »Verstummen sollen die Lügenmäuler, die da reden wider den Gerechten frech, stolz und höhnisch.«
    Ein Knarren tönte durch die Kirche. Rumpelnd fiel das Portal ins Schloss. Schritte hallten durchs Gesäul. Das Gestühl begann zu ächzen, denn Köpfe und Körper drehten sich nach der Erscheinung um. Unter der barocken Orgelempore mit dem David an der Harfe, geflankt von zwei Engeln, stand Richard, das Gesicht wie leergefegt von allen weltlichen Zweifeln, glatt und ausdruckslos.
    Er wandte sich ins linke Seitenschiff. Langsam schritt er nach vorn, zunächst unsicher und etwas außer Atem wie einer, der gerannt und schneller angekommen war als sein Mut, dann zunehmend sicherer und schließlich mit der unverschämten Gelassenheit, die ihn auszeichnete, immer etwas zu bedächtig, um nicht denjenigen zum Wahnsinn zu treiben, der sich ohnehin in die Enge getrieben sah. Gewisper begleitete den nicht eben großen, aber eleganten Mann mit dem herausfordernd erhobenen Kinn. Er hatte den Blick nach vorn gerichtet, auf den Taufstein, den Altar, den Sarg mit den Kränzen und Kerzen und auf den weißen Körper Jesu am Kreuz im Gegenlicht des tiefen dreifenstrigen Chors. Die italienischen Ledersohlen knisterten an den mit Trauergästen vollgestopften Bänken entlang. Die Köpfe folgten ihm, Bankreihe um Bankreihe rutschte wieder herum und setzte sich erneut zurecht.
    Von meinem Pfeiler aus sah ich Lotte zu ihrem Sohn aufschauen. Auch Barbara, Jürgen, Jacky, Maxi und Henry hatten ihm ihre Gesichter zugedreht. Aber er setzte sich nicht auf den Platz, den seine Mutter für ihn freigehalten hatte. Er ging weiter. Er trat zu Pfarrer Frischlin, der sich das Beffchen strich und nicht verhindern konnte, dass sich, was er dachte, in einem Kopfschütteln manifestierte. Dennoch musste er schweigen. Richard trat vor den Altar und wandte sich, um eine Stufe erhöht, den zum Abschied Versammelten zu.
    Es war so still, dass man hörte, wie die Sonne sich in der Jugendstilverglasung überm Seitenportal verfing.
    »Es tut mir leid«, sagte er ohne das geringste Mitgefühl in der Stimme, »aber die Trauerfeier muss an dieser Stelle abgebrochen werden. Meine Mutter und ich, wir danken Ihnen für Ihr zahlreiches Erscheinen. Sie sind im guten Glauben gekommen, einen Mann aus Ihrer Mitte zu verabschieden, der Ihrer Freundschaft und Liebe wert war.«
    Gemurmel.
    In aller Ruhe langte Richard sich unters Jackett und zog mehrere gefaltete weiße Blatt Papier hervor.
    »Aber wir alle haben uns geirrt. Bevor Pfarrer Frischlin den Gottesdienst fortsetzen kann, muss ich ihn sowie Polizei und Staatsanwaltschaft über einen neuen Sachverhalt unterrichten, der auch die Beisetzung, die im Anschluss an diesen Trauergottesdienst auf dem Friedhof von Frommern geplant war, infrage stellen dürfte.«
    Die Unruhe in den Bänken überstieg den Pegel eines Gemurmels. Kromppein lupfte es förmlich aus seiner Bank. Aber er
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